Führende Köpfe diskutieren über die Bedeutung von Wissenschaft für die Region Rhein-Neckar und die notwendige Zusammenarbeit von Städten, Politik und Forschungseinrichtungen.
Im Deutsch-Amerikanischen Institut Heidelberg (DAI) fand eine hochkarätig besetzte Diskussionsrunde zum Thema „Wissenschaft und Stadt“ statt. Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft debattierten auf Einladung des Vereins Bürgerforum Heidelberg über die Zukunftsfähigkeit der Region Rhein-Neckar. Die Veranstaltung, moderiert von Ralph Kühnl (RNF) und Manfred Loimeier (Mannheimer Morgen), bot Einblicke in die Herausforderungen und Chancen einer Wissenschaftsmetropole.
Die Region Rhein-Neckar gehört zu den bedeutendsten Wissenschaftszentren Europas. Mit Einrichtungen wie der Universität Heidelberg, dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und zahlreichen weiteren Forschungsinstituten ist die Region ein Magnet für internationale Wissenschaftler und Studierende. Dennoch gibt es Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt, wie die Diskussionsrunde im DAI verdeutlichte.
Ein Wissenschaftscluster von internationaler Bedeutung
Die Metropolregion Rhein-Neckar ist ein herausragendes Beispiel für die enge Verflechtung von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Dr. Heino Freudenberg, Vorstandsvorsitzender des Bürgerforum Heidelberg, präsentierte zu Beginn der Veranstaltung beeindruckende Zahlen, die die Bedeutung der Region als Wissenschaftsstandort unterstreichen. Insgesamt beherbergt die Region 70.000 Studierende und 40.700 Mitarbeiter an verschiedenen wissenschaftlichen Institutionen, darunter die Universität Heidelberg, das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) und die Universität Mannheim. Diese Einrichtungen verfügen zusammen über ein jährliches Budget von 3,2 Milliarden Euro.
Die Universität Heidelberg alleine zählt fast 30.000 Studierende und rund 9.000 Mitarbeiter, mit Bruttoausgaben von 900 Millionen Euro. Besonders hervorgehoben wurde die neue Fakultät für Ingenieurwissenschaften und die Health + Life Science Alliance Heidelberg Mannheim, die als innovative und interdisziplinäre Forschungsfelder große Fortschritte verzeichnen. „Die Universität Heidelberg spielt eine wesentliche Rolle in der Region und trägt maßgeblich zur Innovationskraft und wirtschaftlichen Entwicklung bei,“ betonte Prof. Dr. Bernhard Eitel.
Sehen Sie in diesem Video als Dokumentation die Podiumsdiskussion in voller Länge, lediglich gekürzt um die einführenden Worte und die Fragerunde des Publikums.
Das Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) behandelt jährlich 85.000 stationäre und über eine Million ambulante Patienten und beschäftigt knapp 14.000 Mitarbeitende aus 130 Nationen. Es ist bekannt für seine Spitzenforschung im Bereich der Gen- und Zelltherapien. Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland und spielt eine zentrale Rolle in der Krebsforschung.
In Mannheim ragt die Universität Mannheim mit 10.000 Studierenden und 1.600 Mitarbeitern heraus, insbesondere in den Bereichen Betriebs- und Volkswirtschaftslehre sowie Sozialwissenschaften. Diese Institutionen tragen nicht nur zur wissenschaftlichen Exzellenz bei, sondern haben auch bedeutende wirtschaftliche Auswirkungen. Laut einer Schätzung der Glückler-Studie 2019 beläuft sich die regionale Wertschöpfung der Güternachfrage der Universitäten und Hochschulen in der Metropolregion auf ca. 2,2 Milliarden Euro.
Prof. Dr. Bernhard Eitel, ehemaliger Rektor der Universität Heidelberg, betonte die internationale Ausrichtung der Universität und ihrer Forschungseinrichtungen: „Heidelberg ist weltweit bekannt und zieht Talente aus der ganzen Welt an. Dies ist jedoch kein Selbstläufer, sondern erfordert kontinuierliche Anstrengungen und Investitionen.“ Er verwies auf die Notwendigkeit, die Infrastruktur und die bauliche Substanz der Universität zu modernisieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. „Wenn Sie 1 Euro ausgeben für die Grundfinanzierung von Unis, gibt das 4,90 Euro an Wertschöpfung für die regionale Wirtschaft,“ so Eitel weiter.
Finanzierung und Wertschöpfung
Dr. Tilman Krauch, Vorstandsmitglied von Freudenberg Weinheim und früherer Vorstandsvorsitzender des Vereins Zukunft Metropolregion Rhein-Neckar, hob die wirtschaftliche Bedeutung der Wissenschaft für die Region hervor: „Wir müssen die regionalen Stärken weiter ausbauen und aktiv für Investitionen werben. Es reicht nicht, auf den bestehenden Erfolgen auszuruhen.“ Krauch betonte die Rolle der Metropolregion Rhein-Neckar als integrierten Wirtschaftsraum: „Die Region muss als Einheit agieren, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen.“
Innovationskraft und Start-ups
Ein weiterer Schwerpunkt der Diskussion war die Förderung von Innovationen und Start-ups. Prof. Dr. Michael Baumann, Vorstandsvorsitzender und Wissenschaftlicher Vorstand des DKFZ, erklärte: „Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, müssen wir sicherstellen, dass unsere Forschungsergebnisse schnell in marktfähige Produkte umgesetzt werden. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Forschungseinrichtungen und Industrie.“ Baumann wies darauf hin, dass das DKFZ bereits erhebliche Erfolge im Technologietransfer verzeichnet habe, betonte jedoch die Notwendigkeit, die Unterstützung für Start-ups weiter auszubauen.
Schnittstelle für Post-Docs: Ein fehlendes Bindeglied
Prof. Dr. Bernhard Eitel thematisierte in der Diskussion die Notwendigkeit einer spezifischen Schnittstelle für Post-Docs, die den Übergang von der Forschung zur Gründung eines Start-ups erleichtert. Diese Übergangsphase, die sogenannte „Nabelschnur“, sei entscheidend, um innovative Ideen in marktfähige Produkte zu überführen. „Wir müssen sicherstellen, dass die Post-Docs ihre Ideen weiterentwickeln können, bevor sie den Sprung in die Selbstständigkeit wagen. Dafür fehlt oft die nötige Infrastruktur und Unterstützung,“ betonte Eitel.
Die Universität spiele hierbei eine zentrale Rolle. Sie müsse die notwendige Infrastruktur und Unterstützung bereitstellen, um diese Übergangsphase zu erleichtern. Eitel erklärte: „Die Universität muss als Brücke fungieren, indem sie den Post-Docs die Möglichkeit bietet, weiterhin Teil der akademischen Gemeinschaft zu sein, während sie ihre Geschäftsideen entwickeln.“ Dazu gehöre auch, geeignete Räumlichkeiten und rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, um diese sogenannte „Nabelschnur“ zu unterstützen und den Übergang in die Selbstständigkeit zu fördern. „Es ist entscheidend, dass die Universität eine aktive Rolle in der Förderung von Innovationen übernimmt, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben,“ so Eitel weiter.
Infrastruktur und Mobilität
Christian Specht, Oberbürgermeister von Mannheim, wies auf die Bedeutung einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur hin: „Es gibt dringenden Handlungsbedarf bei der Verbesserung der Verkehrsverbindungen zwischen Mannheim und Heidelberg. Der Ausbau der S-Bahn-Strecke muss prioritär vorangetrieben werden.“ Specht betonte auch die Notwendigkeit, den Wohnraum für Studierende und Wissenschaftler zu erweitern, um die Attraktivität der Region zu erhöhen. Er machte deutlich, dass die Stadt Mannheim in der Vergangenheit stets eng mit den wissenschaftlichen Einrichtungen kooperiert habe, um deren Bedürfnisse zu unterstützen.
Wohnraum für die Wissenschafts-Community
Überhaupt wurden Themen wie Wohnraum und Infrastruktur zu einem wesentlichen Thema der Diskussionsrunde. Prof. Dr. Michael Baumann hob die Bedeutung einer guten Wohnsituation für Wissenschaftler und Studierende hervor: “Wissenschaft wird nicht nur von hochbezahlten Akademikern gemacht. Wir brauchen auch ausreichend Wohnraum für weniger gut bezahlte Mitarbeiter und Studierende.” Dr. Tilman Krauch ergänzte: “Die Region muss sicherstellen, dass es attraktive Wohnmöglichkeiten und eine funktionierende Infrastruktur gibt, um internationale Talente anzuziehen und zu halten.” Christian Specht unterstrich die Notwendigkeit eines ganzheitlichen Ansatzes: “Wir müssen Wohnraum schaffen und gleichzeitig die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel verbessern, um den Bedürfnissen der wachsenden Wissenschaftsgemeinde gerecht zu werden.” Bernhard Eitel verwies auf völlig neue Anforderungen für Studierende: „Sie kommen manchmal nur für einige Monate nach Heidelberg. Für sie gibt es bisher keinerlei sinnvolle Wohnkonzepte für diese kurzen Zeiträume.“
Die Rolle der Politik
Die Diskussion machte deutlich, dass die Zusammenarbeit zwischen Kommunen, Land und Bund entscheidend ist, um die Region Rhein-Neckar als Wissenschaftsstandort zu stärken. Eitel appellierte an die Politik: „Wir brauchen klare Visionen und langfristige Strategien, um unsere Position als führendes Wissenschaftszentrum zu behaupten. Dies erfordert nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch den Abbau bürokratischer Hürden.“
Erneuerungsfähigkeit und langfristige Planung
Ein weiterer zentraler Punkt, den Eitel ansprach, war die Notwendigkeit der kontinuierlichen Erneuerung und Anpassung der wissenschaftlichen Einrichtungen: „Man darf nie stehen bleiben, sonst hat man schon verloren. Die Erneuerungsfähigkeit einer Institution ist entscheidend für ihre langfristige Exzellenz.“ Dies umfasse sowohl bauliche Maßnahmen als auch die kontinuierliche Anpassung der Forschungsschwerpunkte an neue wissenschaftliche Erkenntnisse und gesellschaftliche Bedürfnisse.
Die Veranstaltung des Bürgerforums Heidelberg im DAI zeigte die Stärken und Potenziale der Region Rhein-Neckar auf, machte aber auch die Herausforderungen deutlich. Es bedarf eines gemeinsamen Engagements von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, um die Region in der wissenschaftlichen Perspektive weiter zu entwickeln und ihre Spitzenposition im internationalen Wettbewerb zu sichern. Die Diskussionsrunde endete mit einem Appell an alle Beteiligten, die Zusammenarbeit zu intensivieren und die notwendigen Investitionen und strukturellen Verbesserungen konsequent voranzutreiben.
Mit einer klaren Vision und einem gemeinsamen Einsatz für die Zukunftsfähigkeit der Region Rhein-Neckar kann Heidelberg als Wissenschaftsstadt ihre herausragende Stellung nicht nur bewahren, sondern weiter ausbauen. Die Herausforderungen sind groß, aber die Chancen sind es ebenso. (Bilder: Stefan Schreier/Video: DAI)