Ein Land in Aufruhr. Wovon wir täglich Bilder von Demos gegen die Justizreform erhalten.
Ein Land voller Hilfsbereitschaft. Wo Menschen fragen, ob man Hilfe braucht, sobald man auf dem Handy Google Maps öffnet.
Ein Land mit Vielfalt. Wo ultraorthodoxe Gläubige beten und nebenan Menschen in Regenbogen-Shirt spazieren gehen.
All das spiegelt Israel wider.
Durch dieses aufgewühlte, gespaltene, vielfältige und nicht zuletzt unfassbar gastfreundliche Land reisen wir, Leo und Moritz, die kommenden Tage. Aber was hat Israel mit der Metropolregion Rhein-Neckar zu tun?
Neben der gemeinsamen deutsch-israelischen Geschichte eine ganze Menge. Zur Zeit befinden sich über ein dutzend Studierende aus Heidelberg in Tel Azekah, ca. 40 Kilometer westlich von Jerusalem. Unterstützt wird die Ausgrabung seit Jahren von der Manfred Lautenschläger-Stiftung. Sie ermöglicht unter anderem, dass Studierende aus Heidelberg an jener Stelle graben können, an der laut Bibel David gegen Goliath gekämpft haben soll. Haben soll deshalb, da es bisher keine archäologischen Funde dazu gibt - also doch alles nur Mythos?
Was hat das zur Konsequenz, wodurch bereichert die Exkursion die Studies aus Heidelberg und wie sieht ein Ausgrabungstag bei über 30 Grad aus? Und natürlich auch: Was erleben wir beide in sieben Tagen Israel: All das können Sie und könnt Ihr hier in der nächsten Zeit mit uns herausfinden.
Ganz viel Freude beim Entdecken unseres kleinen Reiseblogs!
Leo und Moritz
Tel Aviv. Viel zu warm staut sich die nächtliche Luft auf dem kleinen Balkon im ersten Stock. Es ist kurz vor vier. Die Wetterlage in der Innenstadt scheint die Uhrzeit nicht mitbekommen zu haben. Ein Auto hält. Ein Mann steigt aus. Vermummt.
Ein Zweiter folgt. Ebenfalls vermummt. Aber erst das vehemente Schütteln einer Spraydose zieht die volle Aufmerksamkeit auf mich. „Die besprühen das Geschäft unten“, sagt eine vertraute Stimme neben mir. Ich kenne sie noch aus Deutschland.
„Was wird da unten verkauft?“, frage ich nach. „Lebensmittel. Vor allem zu reife Früchte“, scherzt der Freund neben mir. „Es ist ein kleiner Laden, der einem Araber gehört“, seine Stimme wird ernster. Warum sollen Palästinenser Araber das Geschäft beschmutzen?
Ich schaue die Straße entlang und sehe, dass sich hinter dem Auto eine Schlange von fünf weiteren gebildet hat. In einer Seitenstraße, die bis auf die regelmäßig überfliegenden Flugzeuge nachts ruhig war. Aber warum hupt niemand? Dann realisiere ich: Die gehören zusammen.
„Schau mal, das ist wie eine Eskorte! Und die beiden Motoräder vorne und hinten sichern die Straße ab!“ Mir fällt der Mundwinkel nach unten. Ich merke erst jetzt, dass mein Blick vom Fahrer des ersten Autos die ganze Zeit über genaustens verfolgt wird. Böse zeigt er mir: Hier gibt es nichts zu sehen!
Mein Kumpel zückt das Handy. Ich lese die Kennzeichen laut vor. Wir hoffen, wenigstens so etwas Nützliches beizutragen.
Für ein Eingreifen fehlt mir der Mut… Wir sind zu zweit, sie mindestens zu elft: zwei Sprayer, sechs Auto- und vier Motorradfahrer und ein Beifahrer. Ob sie Waffen bei sich haben?
Als ein Sprayer am ersten Auto Nachschub holt, fällt mir ein Logo auf: Ein Globus, der von einem Pfeil umschwungen wird. Daneben steht: IAI. Schnell google ich: „IAI Israel“ und ich bekomme exakt das Logo vom Auto auf meinem Smartphone zu sehen. „Israel Aerospace Industries“. Eine israelische Flugzeug- und Raketenbaufirma. Ein Unternehmen, das, wie ich herausfinde, dem israelischen Staat gehört.
Auch wenn die Aktion vermutlich nicht staatlich beauftragt ist, schockiert es mich, dass sie nicht einmal versuchen, ihre Spuren zu verwischen. Ein Fahrzeug ohne Aufdruck hätte sich sicher finden lassen… Und anders als bei uns, hatten nicht die Sprayer Angst, von uns erwischt zu werden, sondern wir waren es, die beim Beobachten Angst bekamen.
Wir können nur vermuten, was am Ladeneingang stand. Einladend war es bestimmt nicht. Aber es passt in ein Muster. Es sind Aktionen, von denen wir in Jerusalem regelmäßig gehört haben: Wird ein palästinensischer Laden überfallen, braucht die Polizei 70 Minuten. Zu Fuß wären es fünf. Kameras sind auffällig oft dort nicht angebracht oder direkt ausgeschaltet, obwohl ganz Jerusalem dauer videoüberwacht ist.
Die sorgenvollen Berichte stammen von Deutschen, die für christliche Kirchen vor Ort arbeiten. Es sind Menschen, die Angst haben, dass das Land abdriftet.
Es bleibt mein letzter Eindruck, bevor wir zum Flughafen fahren. So wollte ich mich hier nicht verabschieden. Aber es ist in meinem Kopf. Obwohl ich am Ende so gerne das Verbindende gesehen hätte.
Es geht nicht um David gegen Goliath. Nicht um Klein gegen Groß. Und auch nicht um Gut gegen Böse. Im besten Fall geht es um Menschen. Menschen, die von beiden Seiten eingeschüchtert, unterdrückt, manchmal gar getötet werden. Je nach Pass und geographischer Lage.
Es ist das Spaltende, das zurückbleibt. Und das Aktionistische. Ein Gemisch, das verbunden mit Willkür vor allem:
Angst schürt, Hass befeuert, Brücken abreißt.
Auch ich bin erwachsener geworden – trotz deutscher Blase, in der wir uns bei unserer Reise fast immer befanden. Es gibt kein Gut gegen Böse. Es gibt vor allem Verlierer. Ebenjene Menschen, die der Willkür und dem Hass anderer ausgesetzt sind.
„Höre, Israel“. So beginnt das Schma Jisrael. Eine der wichtigsten Gebete im Judentum. Es handelt von Einheit und der Liebe zu einem Gott. Von Liebe zu anderen und Einheit über Glaubensgrenzen hinweg, ist dieser Tage wenig zu spüren.
Als ich ins Flugzeug steige, hoffe ich, dass es friedlicher wird, in jenem Teil der Welt. Dass alle hören, wie prekär die Lage ist. Dass wieder miteinander gesprochen wird. Wo, wenn nicht in Jerusalem soll das gelingen können. Dass es so kommen wird, glaube ich mir selbst nicht.
Das Gefühl wird stärker, je weiter wir uns von Tel Aviv entfernen. Und es durchdringt auch dann noch meine Gedanken, als wir längst den israelischen Luftraum verlassen haben. Immer weiter gen Mitteleuropa. Richtung Alltag. Zurück in eine Welt, die dringend lernen muss, das scheinbar Selbstverständliche nicht als gegben hinzunehmen. Denn es gibt starke Kräfte, die versuchen zu spalten, statt einander die Hand zu reichen - auch bei uns. Als das Flugzeug landet, spüre ich einen drängenden Appell in mir aufsteigen. Er richtet sich an die Heldinnen und Helden des Alltag: setzt euch weiter ein für Demokratie, Zivilcourage, Offenheit und Toleranz.
Jerusalem. Es geht um eine Leiter, die einen heftigen Streit in der Christenheit auslösen kann, sollte sie bewegt werden. Und so steht sie seit über 150 Jahren dort. Über dem Eingang der Grabeskirche. Dem Ort, an dem Jesus Christus gestorben, begraben und auferstanden sein soll.
Aber was hat es damit auf sich? Seit Jahrhunderten streiten sich christliche Glaubensrichtungen, wann, wer, wo Gottesdienst in der Grabeskirche feiern darf. Es ist Sultan Osman III., der 1757 den Streit beenden wollte. Zu dieser Zeit gehörte Jerusalem zum Osmanischen Reich und fiel somit in sein Herrschaftsbereich. Er verfügte: Es bleibt an der Kirche alles so, wie es ist - außer alle Glaubensgemeinschaften stimmen einer Veränderung zu. Jede Gemeinschaft bekam zudem einen Bereich in der Kirche und Gebetszeiten zugeteilt.
Das gilt bis heute. Der Streit ist nicht gelöst. Ein Entfernen eben jener Leiter bräuchte das Einverständnis aller. Das ist bis heute nicht in Sicht.
Und so ist die Holzleiter über dem Eingang der Grabeskirche das Zeichen christlicher Zerrissenheit in Jerusalem.
4:00 Uhr. Der Wecker klingelt uns zum dritten Mal wach, lange bevor ein Sonnenstrahl unser Fenster erreichen kann. Halb verschlafen machen wir uns fertig, packen alles zusammen und begeben uns zum Auto. Das Fernlicht ist dauerhaft an. Bis auf den Lichtkegel eines Motorrads im Rückspiegel ist es dunkel. Wäre der Mond nicht vorgestern voll gewesen, so hätten wir in einen Himmel voller Sterne schauen können. So einen, wie ihn in Mannheim und Ludwigshafen wohl seit Jahrzehnten niemand mehr gesehen hat - durch die Lichtverschmutzung der Industrieanlagen.
Sanfte Beats erreichen mein Ohr. Die Sprache der Sängerin klingt vertraut, erschließt sich mir aber auch Minuten später nicht. Es muss wohl Hebräisch sein, aber es ist kein Israeli im Auto, der mir übersetzen kann, was sie melancholisch-klingend von sich gibt.
Als wir aussteigen und den kleinen Hügel zum Ausgrabungs-Platteau hinaufgehen merke ich, wie schwer meine Beine geworden sind. So als würde Kiloweise Schlamm vom Vortag sich daran festgemacht haben. Aber so viel kann der Staub auf meinen Sneakers nicht wiegen. Es muss die intensive Arbeit, die dutzend Stunden in der Natur und die über 30 Grad sein, an die sich mein Körper nicht zu gewöhnen scheint. „Der zweite Tag sei der Schlimmste“, höre ich immer wieder, als ich frage, wie es den anderen anfangs so ergangen ist.
Na toll, denke ich mir. Gestern war’s schon hart, aber - „Moritz, Leo, klappt das mit der Drohne heute?“ Hinter mir reist mich eine der Teilnehmer aus meinem morgendlichen Gedanken. „Ja, bestimmt. Wir probieren es nachher mal aus“, entgegnet Leo. Gestern haben wir noch darüber gescherzt, dass das Militär die Drohne vielleicht abfangen wird, wohlwissend, dass wir eine Erlaubnis haben. Es sind Momente wie diese, in denen ich merke, dass uns bei all den wunderschönen Erlebnissen, der Trip auch einiges abverlangt.
Mit den ersten Sonnenstrahlen fange auch ich an, mehr zu reden und mehr zu lachen. So als taue die Sonne - wie ein natürliches Uhrwerk - mein Gemüt um 6:57 Uhr auf, als habe ich mich daran in den paar Tagen hier bereits gewöhnt. Das interviewen wird wieder leichter, die Gespräche tiefer und der Entdeckungsdrang größer. Jetzt nur schnell, denke ich mir, bevor in der brütenden Mittagssonne mein Gemüt so weit aufgetaut wird, dass ich das Gefühl bekomme, vor Schweiß zu schmelzen.
Aber nicht heute, fällt mir plötzlich ein. Heute Mittag geht es ja nach Jerusalem. Wahrscheinlich wird dort die Hitze wie eine Blase in der Innenstadt stehen. Aber das ist mir erstmal egal. Ich bin gespannt, was wir dort alles sehen und entdecken werden. Ich hebe meinen Rucksack auf und will mich gerade losmachen. Und als hätten wir es abgesprochen, dass wir jetzt nochmal richtig loslegen, lässt Leo die Drohne in den morgendlichen Himmel starten.