08:15
Aufbruchstimmung nach einer kurzen Nacht. Alle bereiten sich vor auf einen weiteren langen Tag. Die Stimmung ist positiv, doch im Hinterkopf steckt bei allen, was heute alles schief gehen kann. Der Plan ist klar: Pastor Igor hat uns nicht nur Obdach gewährt, sondern auch die Menschen vermittelt, die wir auf dem Heimweg nach Mannheim mitnehmen wollen. Sie treffen wir planmäßig nach dem Abladen der Hilfsgüter.
09:20
Erste Hiobsbotschaft: Igor teilt uns mit, dass drei Familien kurzfristig abgesprungen sind. Die Gründe vielseitig: Verlustangst, zu weite Entfernung oder sie kommen gar nicht mehr nach Polen, da die Russen die Grenzen blockieren. Unser Plan damit hinfällig. Erstmal laden wir die Hilfsgüter ab, die morgen in ein Lager in Wolhynien (Ukraine) gebracht werden sollen. Im Anschluss werden wir uns auf den Weg Richtung Breslauer Bahnhof machen. Je nachdem was uns dort erwartet, also wie viele Menschen wir dort einsammeln, gibt es einen neuen Plan. Dann eventuell knüpfen wir Kontakte über eine Hilfsorganisation zu weiteren Flüchtlingen.
10:15-11:30
Angekommen in einem provisorisch eingerichteten Minilager. Hier werden die Sachen die wir dabei haben bis morgen aufbewahrt. Hier wurden in den letzten Wochen auch Unterkünfte aus beispielsweise Paletten gebaut um Ukrainern eine Schlafgelegenheit zu geben. Wir haben mit Sascha Lagoda gesprochen. Er ist ein Ukrainer der seit 14 Jahren in Polen lebt. Mit anderen Männern hat er sich zusammengeschlossen um Notunterkünfte zu errichten aus alten ungenutzten Rohstoffen.
Die polnischen Helfer vor Ort wirken unglaublich bemüht. Nach dem Abladen werden erste Mitfahrmöglichkeiten für Frauen und Kinder geklärt. Kein Telefon steht hier still. Ein älteres Paar wird sich mit ihrem Privatauto unserem Konvoi anschließen. Die ukrainischen Menschen vor Ort sind sehr dankbar. Nächster Halt Bahnhof Breslau!
12:00
Falsch gedacht! Da gab es wohl wieder einmal kleine Kommunikationsprobleme. Es gibt einen Zwischenstopp in Pastor Igors Gemeinde. Dort haben wir eine Frau eingesammelt die später mit uns den Rückweg nach Deutschland antritt. In der Gemeinde sind drei große Zelte aufgebaut. Außerdem befinden sich dort zwei große Räume mit Schlafmöglichkeiten. Ich schätze hier könnten ca. 30 Leute Platz finden. Derzeit ist es nicht so voll, aber noch vor zwei Wochen konnte er nicht alle Menschen aufnehmen, die dort Obdach suchten.
13:00-15:30
Überall im Breslauer Bahnhof befinden sich Menschen aus der Ukraine. Verschiedene Hilfsorganisationen warten hier auf ukrainische Flüchtlinge. Allerdings wesentlich weniger als vor zwei Wochen. Ein gutes Zeichen? Wage ich nicht zu beurteilen. Unser Kontaktmann erklärt, dass die viele Ukrainer an der ausreise gehindert werden, weil die Russen die Grenzen dicht machen. Wir treffen auf eine andere Gruppe aus Deutschland, einem eigenständigen Jugendverband aus Niederbayern, der bereits eine 14-köpfige Flüchtlingstruppe zusammen getrommelt hat. Nachdem am Morgen drei Familien abgesprungen sind, haben wir aktuell nur fünf von 19 Plätzen besetzt. Eine ältere Frau und zwei junge Mütter mit Kind sind fix dabei. Am Bahnhof werden wir auf Nachfrage abgewimmelt, da wir keine eingetragene Hilfsorganisation sind, werden sie „Taxi ohne Grenzen“ keine Flüchtlinge vermitteln. Durch die Sprachbarriere ist es auch nicht so leicht irgendwelche Leute anzuquatschen. Mittlerweile hat die Polizei die Gruppe aus Niederbayern und Mary einkassiert und deren Daten aufgenommen. Beide Vereine waren dafür nicht angemeldet. Sollten sie mit Flüchtlingen beim Ausreisen erwischt werden, droht eine Strafe.
16:00
Die Stimmung ist schlecht. Schon vor zwei Wochen, gab es viele Komplikationen, weshalb unter anderem Sven viel Arbeit, Vorbereitung und Planung in den Trip gesteckt hat. Nico, einer der anderen Fahrer erzählt, dass diese Vorkommnisse bei solchen Fahrten ganz normal sind und dazu gehören. Zwischenzeitlich steht ein 6-stündiger Umweg über Berlin im Raum, da man dort vermutlich keinen Ärger mit den Behörden hätte und die übrigen Plätze bei der aktuellen Lage schnell besetzt bekäme. Auch weiter an die Grenze ist natürlich eine Möglichkeit. Dann meldet sich die Gruppe aus Niederbayern bei Mary. Nun sollen deren 14 Flüchtlinge noch bei uns unterkommen. Einige Telefonate später geht es noch einmal zum Bahnhof.
17:30
Endlich ein bisschen Zeit zum Schreiben. Sorry für die späten Updates an dieser Stelle- war viel los heute. Mittlerweile sind wir vollbepackt auf dem Rückweg. Einige der Flüchtenden haben schon genaue Ziele und kommen bei der Familie unter. Dresden, Nürnberg, Landstuhl und Mannheim heißen unsere Ziele. Wir sind derzeit noch eine halbe Stunde von der Grenze entfernt. Hinter uns sitzen Kinder und Frauen, sie wirken dankbar und der Situation entsprechend entspannt. Keine typischer Zustand wie ich auf der Hinfahrt von den anderen erfahren habe. Beim letzten Mal war die Stimmung vor allem in einem Auto unfassbar traurig und gedrückt. Eine Frau stand Tage zuvor noch unter Beschuss und musste erstmal in psychiatrische Behandlung.
18:20-19:20
Umstrukturierung und erneute Planänderung kurz nach der deutschen Grenze. Hier treffen wir die Jungs und Mädels mit ihrem Konvoi vom Bahnhof wieder. Sie können die Menschen für die auch teilweise schon Unterkünfte organisiert wurden, ab hier wieder mitnehmen. Ohne „Taxi ohne Grenzen“ wären sie allerdings immer noch in Breslau. Ein Erfolg! Die Stimmung im Team ist wieder besser. Die Flüchtenden sind nicht sehr angespannt und lassen sich von uns gerne interviewen. Die Kinder spielen mit Plüschtieren, trinken und essen – und lachen!!! Um kurz vor halb Acht machen wir uns jetzt noch mit einer älteren Dame und den beiden jungen Frauen mit Kind auf den Weg Richtung Heimat. Die zwei Mütter sollen mit ihren Töchtern in Alzey unterkommen – nah beieinander, denn sie kennen sich bereits länger.
21:40-22:30
Zwischenstopp und eine warme Mahlzeit für alle Mitfahrenden. Die Kinder bekommen bei der örtlichen Fast-Food-Kette noch ein extra Spielzeug – strahlende Augen. Ein Moment, in dem mir das Herz aufgeht. Generell sind die fünf Flüchtenden sehr aufgeschlossen und nahbar – und das trotz der Sprachbarriere. Die ältere Dame spricht polnisch und Jessica unterhält sich angeregt mit ihr. Zum Schluss werden noch ein paar Gruppenfotos gemacht und die letzten Tankreserven aus den Kanistern auf die Autos aufgeteilt. Wir fahren weiter!
03:30
Die beiden jungen Frauen, die übrigens Cousinen sind, haben wir soeben mit ihren Töchtern in Bornheim bei einer Familie untergebracht. Hier können sie sich erstmal weit weg vom Krieg um ihr eigenes und das Wohlergehen der beiden Kleinen kümmern. Die Dankbarkeit ist groß. In ca. 30 Minuten laden wir dann Ludmilla ab und dann geht es zurück nach Mannheim.
04:05
Die ältere ukrainische Dame, Ludmilla, kommt bei einer jungen Böhl-Iggelheimerin unter. Sie hat schon eine Dolmetscherin für die nächsten Tage organisiert. Ludmilla verabschiedet sich unter zahlreichen „Spasiba“ (Danke)!
04:45
Ankunft in Mannheim nach einem schier endlosen Tag. Die Crew wirkt glücklich und zufrieden mit dem Geleisteten. Alle sind unfassbar platt, bis auf Nico, der steht uns zum Abschluss nochmal Rede und Antwort.
05:55
Letzter Blogeintrag: Ein sehr kompliziertes Unterfangen, so eine Reise. Sven hatte seit der letzten Fahrt vor zwei Wochen diesen Trip zusammen mit den polnischen Kontaktleuten genauestens geplant. Klar ist jetzt: Man kann gar nicht allzu viel im Voraus planen, da sich die Voraussetzungen andauernd ändern. Das Fazit hierzu: Wer unbedingt helfen will, der kann helfen. Und es muss nicht zwingend durch solche aufreibenden Flüchtlingsrettungsaktionen sein. Aber sich ab und an mal aus dem eigenen Schneckenhaus herauswagen und auch nur durch eine Spende an die richtige Stelle beitragen, ist für manche Menschen dann doch sehr viel mehr wert.