Stuttgart. Die Bundesregierung muss aus Sicht des Landkreistags den Druck auf Bezieher von Bürgergeld deutlich erhöhen, damit sie reguläre Arbeit aufnehmen. Bei Schwarzarbeit solle das Bürgergeld komplett gestrichen werden, statt es wie bislang vom Bund geplant nur zu kürzen, forderte der Präsident des baden-württembergischen Landkreistags, Joachim Walter. Dabei bezieht er ukrainische Flüchtlinge, die Bürgergeld beziehen, ausdrücklich mit ein.
«Wenn man von einem Land aufgenommen wird aus einer Kriegssituation, dann sollte man sich berappeln und so weit man kann zu seinem Lebensunterhalt beitragen und arbeiten», sagte der Tübinger Landrat der Deutschen Presse-Agentur. «Da sollte man auch so fair sein und dem Aufnahmeland etwas zurückgeben. Das dürfen wir auch einfordern.» Doch die Beschäftigungsquoten bei Menschen aus der Ukraine seien jämmerlich. «Im Kreis Tübingen sprechen wir von rund 10 Prozent, in Holland sind es mehr als 50 Prozent.»
Zu Wochenbeginn hatte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bereits Kritik auf sich gezogen mit seinem Vorstoß, sogenannten Totalverweigerern das Bürgergeld zu streichen. Grüne, Linke und Sozialverbände warfen ihm unter anderem Populismus und Volksverhetzung vor. Die FDP im Bund pocht dagegen auf weitreichende Verschärfungen beim Bürgergeld. Bekannt wurde auch, dass die Bundesregierung beim Bürgergeld im kommenden Jahr eine Nullrunde für möglich hält.
Bund will schärfere Regeln für Bezieher von Bürgergeld
Das Bürgergeld ist die Grundsicherung für Arbeitssuchende. Davon getrennt ist die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, zum Beispiel wegen Krankheit oder Behinderung. Um Bürgergeld zu beziehen, müssen Erwerbsfähige und leistungsberechtigte Bürgerinnen und Bürger mindestens 15 Jahre alt und noch nicht im Rentenalter sein, in Deutschland wohnen, mindestens drei Stunden täglich arbeiten können und hilfebedürftig sein. Es steht also Menschen zu, die mit dem eigenen Einkommen unter dem Existenzminimum landen und den Lebensunterhalt nicht ausreichend bestreiten können.
Die Bundesregierung will mit schärferen Regeln mehr Bezieher von Bürgergeld zur Aufnahme einer Arbeit bewegen. So soll künftig ein längerer Weg zur Arbeit zumutbar sein, das Ablehnen einer zumutbaren Arbeit mit erhöhten Leistungskürzungen geahndet werden und auch Schwarzarbeit zu Kürzungen führen. Diese und weitere Maßnahmen sind Bestandteil der sogenannten Wachstumsinitiative der Ampel-Regierung, die vor allem dazu dienen soll, die lahmende Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.
Das Bundesverfassungsgericht setzt für eine vollständige Streichung des Bürgergeldes aber enge Grenzen. Der Wegfall sei «auf Grundlage der derzeitigen Erkenntnisse mit den verfassungsrechtlichen Maßgaben nicht vereinbar», hieß es in einem Urteil aus dem Jahr 2019. «Es liegen keine tragfähigen Erkenntnisse vor, aus denen sich ergibt, dass ein völliger Wegfall von existenzsichernden Leistungen geeignet wäre, das Ziel der Mitwirkung an der Überwindung der eigenen Hilfebedürftigkeit und letztlich der Aufnahme von Erwerbsarbeit zu fördern.»
Walter will Sprachbarrieren abbauen
Aus Sicht Walters müssen mit Blick auf erwerbsfähige Migranten vor allem bei den Sprachvorgaben Abstriche gemacht werden. «Wir wollen keine Germanisten ausbilden, sondern wir suchen Menschen für den Arbeitsmarkt. Da braucht es nicht immer das ganz perfekte Sprachniveau», sagte er. Sprache lasse sich auch bei der Arbeit gut erlernen. «Wir tun ihnen nichts Gutes, wenn sie ohne Beschäftigung bleiben. Warum sagen wir beispielsweise nicht dem Raumfahrtingenieur aus der Ukraine, es hilft ihm auch, wenn er dem Gastronomen in der Küche eine Zeit lang hilft und nebenbei Sprachkurse macht?», sagte Walter.
Aus Sicht des LKT-Präsidenten sollten Menschen bereits nach einem Sprach-Grundkurs in die Arbeitsvermittlung einsteigen. «Und wenn das Arbeitsangebot nicht angenommen wird, weil man beispielsweise sagt, das entspricht nicht meiner bisherigen Berufsausbildung, meinem Niveau, dann muss man Leistungen kürzen.»
Ähnlich plant es die Ampelkoalition, bei der Schwarzarbeit geht sie Walter aber nicht weit genug. «Bei Schwarzarbeit sollen die Leistungen künftig nur drei Monate lang um maximal 30 Prozent gekürzt werden. Was für ein Unsinn», sagte er. Wer schwarz arbeitete, zeige, dass er arbeiten könne. Leistungen sollten in diesen Fällen ganz gekürzt und der Fall angezeigt werden. «Wir können doch nicht jemanden, der seine Arbeitsfähigkeit ständig unter Beweis stellt, mit Steuermitteln im Bürgergeldbezug halten und nur drei Monate lang die Leistung ein kleines wenig einschränken», sagte der Landrat. «Wer staatliche Leistungen zu Unrecht in Anspruch nimmt, muss auch die Folgen zu spüren bekommen.»
Hunderttausende im Südwesten bekommen Bürgergeld
Im März gab es im Südwesten 501.031 Bezieher von Bürgergeld. Davon sind nach Angaben des Arbeitsministeriums etwa 71 Prozent erwerbsfähig. Nicht alle erwerbsfähigen Leistungsberechtigten seien kurzfristig für den Arbeitsmarkt verfügbar, etwa weil eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme des Jobcenters absolviert oder ein Integrationskurs besucht werde. Diese Menschen gelten dann auch nicht als arbeitslos, sondern sind arbeitsuchend. (dpa/lsw)