Stuttgart. Nach dem Vorstoß von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) für mehr Kontrollen an den Grenzen zeigt sich der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann offen für strengere Zurückweisungen. «Es hat sich gezeigt, dass die Grenzkontrollen, wo sie gemacht wurden, wirksam waren», sagte der Grünen-Politiker in Stuttgart. Die Bundesinnenministerin müsse das rechtskonform ausarbeiten. «Wenn sie solche Vorschläge macht, stehe ich dem offen gegenüber», sagte der Regierungschef. Kritiker aus seiner Partei rief er auf, ihre Vorwürfe zu überdenken.
Am Montag hatte Faeser sechs Monate andauernde Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen – nicht nur im Osten und Süden – angeordnet, um die Zahl unerlaubter Einreisen stärker einzudämmen. Die Kontrollen sollen am 16. September beginnen. Auch habe die Regierung ein «Modell für europarechtskonforme und effektive Zurückweisungen entwickelt», hieß es vom Ministerium.
Der Union gehen die Vorschläge nicht weit genug. Sie erklärte die Beratungen mit der Bundesregierung über eine bessere Steuerung der Migration für gescheitert.
Eigentlich wird im Schengen-Raum kaum kontrolliert
Zurückweisungen an deutschen Landgrenzen gibt es derzeit nur in bestimmten Fällen: wenn jemand mit einer Einreisesperre belegt ist oder kein Asyl beantragt. Zurückweisungen an den deutschen Binnengrenzen sind generell nur dort möglich, wo es Kontrollen direkt an der Grenze gibt.
Seit Oktober 2023 wurden laut Bundesinnenministerium mehr als 30.000 Menschen zurückgewiesen. Mitte Oktober 2023 hatte Bundesinnenministerin Faeser stationäre Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz angeordnet. An der deutsch-österreichischen Landgrenze gibt es solche Kontrollen, die mit der irregulären Migration begründet werden, bereits seit September 2015. Die nun neu angeordneten Kontrollen direkt an der Grenze betreffen die Landgrenzen zu Frankreich, Dänemark, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg.
Grüne im Bund skeptischer als Kretschmann
Er sei ein klarer Befürworter einer Begrenzung der irregulären Migration, sagte Kretschmann. Es müsse aber auch eine reguläre Einwanderung geben, um den Arbeits- und Fachkräftemarkt zu stärken. «Asylrecht darf nicht ständig mit Einwanderungspolitik vermischt werden», sagte Kretschmann.
Parteifreunde des Grünen äußern sich deutlich skeptischer zur Idee der Bundesinnenministerin als Kretschmann. Der Chef der Bundes-Grünen, Omid Nouripour, sagte, es gelte, die Ideen auch mit den europäischen Partnerstaaten und vor allem mit den Nachbarn zu besprechen. Er verwies dabei im Deutschlandfunk auch auf Österreich, das bereits signalisiert hatte, keine von Deutschland abgewiesenen Migranten zurücknehmen zu wollen.
Die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic warnte indes erneut vor einer Kettenreaktion, sollte Deutschland umfassend an den Grenzen zurückweisen. «Das hätte natürlich einen Dominoeffekt zur Folge», sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundes-Grünen.
Ministerpräsident kritisiert seine Partei
Kretschmann zeigte sich wenig überzeugt von den Bedenken. Er fordert die Grünen auf Bundesebene auf, sich offen für die Eindämmung der irregulären Migration einzusetzen. «Es ist offenkundig, dass sich Teile meiner Partei schwer damit tun, sich endlich zu committen, dass wir die irreguläre Migration unbedingt eindämmen müssen, dass man das offen sagt und auch verfolgt», sagte er. Allerdings sei der stete Zweifel auch keine Lösung. «Dem Druck von anderen immer weiter nachzugeben, ist kein Erfolgskonzept.»
Die Niederlagen der Grünen bei den jüngsten beiden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen hätten das gezeigt. «Das sind Signale, die jeder hören sollte», sagte Kretschmann.
Flüchtlingsrat hält Debatte für falsch
Der baden-württembergische Flüchtlingsrat warnte vor einer Art Überbietungswettkampf quasi aller Parteien. «In einem rasenden Tempo werden Vorschläge gemacht, die das Spektrum des Sagbaren und des politisch Möglichen immer weiter nach Rechts verschieben», sagte die Co-Geschäftsführerin Anja Bartel. Das werde getan ohne Rücksicht auf die desaströsen Konsequenzen, die das für die Betroffenen habe, und auch ohne Rücksicht auf grundlegende rechtliche Rahmenbedingungen.
Von Politikerinnen und Politikern in Machtpositionen könne zudem erwartet werden, dass sie sich an geltende rechtliche Grundsätze hielten und sich nicht darüber hinwegsetzten, nur weil das gerade politisch opportun erscheine. «Deutschland darf Schutzsuchende nicht einfach in jenes Land zurückschicken, aus dem sie einzureisen versuchen, denn Zurückweisungen an den Binnengrenzen sind unionsrechtswidrig», sagte Bartel. (dpa/lsw)