Mainz. Ferien-Sprachkurs und Baustart der Landesgartenschau, Weinköniginnen-Wahl und Weltmädchentag, Nibelungen-Festspiele und Ehrenamtstag: Der neue Ministerpräsident Alexander Schweitzer ist seit seiner Wahl vor rund 100 Tagen ständig in Rheinland-Pfalz unterwegs und sucht den Kontakt mit Menschen. Etwa 21.000 Kilometer sei er in den ersten 90 Tagen seiner Amtszeit bereits durch das Flächenland gefahren, berichtet der Sozialdemokrat. Er war am 10. Juli nicht nur mit der Mehrheit seiner Ampel-Regierung, sondern auch mit drei Stimmen aus der Opposition gewählt worden.
Politikwissenschaftler: Schweitzer noch dabei, in Amt zu finden
Unterwegssein, Menschen zuhören und mit ihnen zu sprechen, ist für den Pfälzer ein ganz wesentliches Merkmal seiner Amtsführung. In seiner ersten Regierungserklärung beschrieb er das so: «In einer sich verändernden Welt und Gesellschaft sind es oftmals die Dinge, die am Küchentisch besprochen werden, auf die Politik achtgeben muss.» Im politischen Mainz hingegen wird schon darüber gesprochen, wie lange der 51-Jährige das dicht gedrängte Programm durchhalten kann.
«Schweitzer ist sehr viel unterwegs, da war aber noch nichts dabei, das die große öffentliche Aufmerksamkeit gefunden hat», sagt der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Wie seine Nachfolgerin Dörte Schall (auch SPD) als Ministerin für Arbeit, Soziales Digitalisierung, Transformation sei Schweitzer noch dabei, in sein Amt zu finden. Und auf die Frage einer Bilanz der ersten 100 Tage: «Weil die langen Sommerferien dazwischen waren, ist kaum schon eine Beurteilung möglich.»
Zu den schwierigsten Momenten in Schweitzers ersten Monaten gehört sicherlich der Hoteleinsturz im Moselort Kröv Anfang August mit zwei Toten. Aber auch die Debatte über den Abschlussbericht des Landtagsuntersuchungsausschusses zur Flutkatastrophe im Ahrtal mit 135 Toten vor rund drei Jahren. Die Betroffenheit war dem Ministerpräsidenten und vielen Abgeordneten im Plenum deutlich anzumerken. Den Wiederaufbau des Ahrtals erklärte Schweitzer gleich, nachdem ihn Malu Dreyer zu seinem Nachfolger ernannt hatte, zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit.
Schweitzer: Wirtschaft ist das entscheidende Wahl-Thema
BASF und Biotechnologie oder Hidden Champions und Kranbauer Tadanon: Schweitzer sucht den Kontakt zu den Unternehmen-Chefs, aber auch zu den Belegschaften und den Gewerkschaften. Analog zur gerade vorgelegten Wirtschaftsstrategie seiner Bundespartei hält er im Land die ökonomischen Grundlagen und die Wirtschaft für entscheidende Themen bei den Wahlen im Bund 2025 – und wenig später im Land.
Alles, was der Bund tue, um Industriearbeitsplätze zu sichern, komme Rheinland-Pfalz zuallererst zugute, meint Schweitzer und wünscht sich eine entschiedenere Standortpolitik der Bundesregierung. Er will selbst stark in Berlin präsent sein, dabei geht es derzeit auch um Nachbesserungen bei der Krankenhausreform.
Wie sehr ihm der Gesamtauftritt der Berliner Koalition missfällt, bringt der Rheinland-Pfälzer auf den Satz: «Wir sind die gute Ampel.» Für den neuen Generalsekretär der CDU-Opposition, Johannes Steiniger, ist die Abgrenzung aber «nur taktische Rhetorik, die durch keine einzige politische Initiative in den ersten hundert Tagen untermauert ist».
Akzente bei Kommunen, KI und Bürokratieabbau
Das rot-grün-gelbe Bündnis regiert in der Landeshauptstadt auch mit dem neuen Ministerpräsidenten – zumindest nach außen – konzentriert und geräuschlos weiter. Ob es dabei bleibt, wenn die noch offenen Themen des Koalitionsvertrags abgearbeitet werden, wird sich zeigen. Dies gilt insbesondere für die Novelle des Landesklimaschutzgesetzes.
Bei der Vorstellung größerer Vorhaben der Landespolitik ist Schweitzer bisher auch stets dabei und überlässt sie nicht allein seinen Ministern und Ministerinnen. So etwa beim Startchancenprogramm für die Schulen, der Novellierung des Landeskatastrophenschutzgesetzes oder bei der Übergabe der Handlungsempfehlungen einer Fachkommission zum Schutz von Kindern und Jugendlichen gegen sexualisierte Gewalt.
Neue Akzente hat der Ministerpräsident im Doppelhaushalt vor allem mit der Förderung der Kommunen gesetzt. Auch Maßnahmen des Landes gegen Bürokratieabbau und ein neuer Lotse für KI und Life Science gehören zu seinen ersten Schwerpunkten als Regierungschef. Was ihn von seiner Vorgängerin Malu Dreyer (63) unterscheide? Schweitzer verweist ganz allgemein auf unterschiedliche Persönlichkeiten, Generationen und Anforderungen der Zeit, nennt aber neben der Wirtschaft auch den Schwerpunkt frühkindliche Sprachförderung verbunden mit einer Erneuerung des Aufstiegsversprechens als seinen Akzent.
CDU-Generalsekretär sieht Anknüpfungspunkt zur SPD bei der Migration
Im Landtag fiel der Ministerpräsident und begabte Rhetoriker sogleich mit einem Rededuell in der Debatte um den Haushalt 2025/26 auf. Für viele war das ein spannender Ausblick auf einen Wahlkampf der beiden Spitzenkandidaten Schweitzer und Gordon Schnieder (CDU).
Steiniger meint dagegen, Schweitzers «Herz schlägt offensichtlich noch zu sehr für die „Abteilung Attacke“ des SPD-Generalsekretärs oder -Fraktionsvorsitzenden». «Als Ministerpräsident muss er aber die Interessen seiner Partei jetzt ganz klar hinten anstellen.» Steiniger sieht aber auch Anknüpfungspunkte: «Ausdrücklich würdigen möchte ich aber, dass er unser Angebot angenommen hat, mit uns über eine gemeinsame Strategie bei der Migration zu sprechen.» (dpa/lrs)