Bei den Corona-Infektionen rollt derzeit die Sommerwelle durchs Land. Doch bereits jetzt richtet sich der Blick auf Herbst und Winter, wenn mit einem weiteren Anstieg der Infektionszahlen zu rechnen ist. Was steht den Menschen in Rheinland-Pfalz bevor? Der Mainzer Virologe Bodo Plachter erwartet nach derzeitigem Stand weniger einschneidende Maßnahmen als in den Vorjahren. «Wenn die Lage so bleibt, wie sie jetzt ist, wird das öffentliche Leben im bevorstehenden Herbst und Winter vermutlich nicht mehr so beeinträchtigt wie in den vergangenen beiden Jahren sein und kein umfassender Lockdown nötig werden», sagte er im Redaktionsgespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.
Voraussetzung dafür sei, dass nicht eine neue Virusvariante auftauche, die plötzlich und ganz massiv das Krankheitsgeschehen verstärke. «Im Augenblick sehen wir keinen derartigen «Game Changer». Bisher haben wir es mit verschiedenen Omikron-Varianten zu tun», sagte der Direktor des Instituts für Virologie der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Das Land und die Menschen seien inzwischen in einer anderen Situation als vor ein oder zwei Jahren, betonte der 64-Jährige, der auch Mitglied im Ethikbeirat der rheinland-pfälzischen Landesregierung ist. «Wir haben Impfstoffe für die Auffrisch-Impfung, wir haben wirksame Medikamente für bestimmte Situationen und die Kolleginnen und Kollegen vor allem auf Intensivstationen haben viel mehr Erfahrung im Umgang mit der Krankheit.»
Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) betonte, die Landesregierung betrachte die Situation sehr aufmerksam und sehe die Herausforderung für die kühle Jahreszeit. «Wir brauchen so schnell wie möglich die Ermächtigung vom Bund, handeln zu können. Sonst haben wir keine Chance, ab der zweiten Septemberhälfte überhaupt etwas zu tun.» Auch er geht davon aus, dass sich die Situation im bevorstehenden Herbst und Winter von der im Vorjahr unterscheiden wird: «Verordnungen mit so kleinteiligen Regelungen wie im vergangenen Jahr sind ausgeschlossen.»
«Eine Maskenpflicht in bestimmten Bereichen, Abstand halten und gewisse Einschränkungen bei Veranstaltungen» seien aus medizinischer Sicht sinnvolle Maßnahmen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, erklärte Plachter. «Im Supermarkt fünf Minuten eine Maske zu tragen, das tut nicht weh, schützt aber». Diese Maßnahmen seien sinnvoller, als alle drei Monate zu impfen. Letztlich seien dies jedoch Fragen, die von der Politik beantwortet werden müssten.
Hoch erklärte, bei einem weiteren Anstieg der Infektionszahlen werde auch wieder über das Tragen von Corona-Schutzmasken nachgedacht werden müssen. «Aber anders als bisher: Bei einer kurzen Begegnung im Flur sind Masken weniger sinnvoll, als wenn man zwei Stunden zusammen am Tisch sitzt.» Die Maske helfe auch gegen andere Infektionen. So sei die Grippewelle zuletzt «sehr beherrschbar» gewesen im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie.
Hoch warb für das Boostern der Über-60-Jährigen «mit dem gerade verfügbaren Impfstoff». Die Impfquote bei den über 18-Jährigen liege in Rheinland-Pfalz deutlich über 85 Prozent, «so wie wir das immer wollten».
Die Corona-Impfung ist nach Plachters Einschätzung «im Prinzip sehr gut wirksam und schützt Geimpfte gegen schwere Covid-19-Erkrankungen und mildert den Krankheitsverlauf ab». Allerdings habe man gelernt, dass die Corona-Impfung nicht vor einer Infektion und auch nicht vor einer Weitergabe des Virus an andere schütze. «Meiner Ansicht nach werden das auch künftige Impfstoffe nicht leisten. Das schafft übrigens auch die Influenza-Impfung nicht», betonte er.
Der geplante neue, an die Omikron-Variante angepasste Impfstoff werde nach den derzeit vorliegenden Studien etwas besser wirken, aber keinen sehr großen Unterschied machen, erklärte Plachter weiter. Eine Auffrischungsimpfung im Herbst könnte dennoch sinnvoll sein.
Generell spricht sich der Virenexperte für ein Umdenken beim Thema Impfen aus. «Wir können uns nicht alle drei Monate impfen lassen. Das ist keine Strategie für die Zukunft. Wir müssen lernen, mit Sars-Cov2 zu leben», betonte er. Generell könnte ein Vorgehen ähnlich wie bei der Influenza mit Auffrischungsimpfungen im Herbst – möglicherweise mit modifizierten Impfstoffen – sinnvoll sein. Bei Menschen mit bestimmten Grunderkrankungen oder einer eingeschränkten Immunabwehr müsse aber grundsätzlich der behandelnde Arzt patientenbezogen über eine Impfung entscheiden, das könne auch die Ständige Impfkommission nicht in einem starren Schema festlegen.