Von Mona Wenisch, dpa
Edenkoben/Mainz/Neunkirchen. Sie haben ihre Gefängnisstrafe abgesessen und sind doch nicht frei: 50 Menschen in Rheinland-Pfalz sitzen nach Angaben des Justizministeriums in der sogenannten Sicherungsverwahrung. Sie gelten als zu gefährlich, um entlassen zu werden.
Doch zuletzt hatten zwei Fälle in Rheinland-Pfalz und im Saarland Kritik an der Umsetzung der Sicherungsverwahrung ausgelöst. In Neunkirchen etwa soll ein vorbestrafter Sexualstraftäter eine 69-jährige Frau vergewaltigt haben. Die Frau wurde Anfang September tot gefunden. Der 61-jährige Tatverdächtige saß nach Angaben der Staatsanwaltschaft bis 2020 in Sicherungsverwahrung – die dann «auf der Grundlage einer positiven Legalprognose» eines Gutachters vom Gericht zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Ein anderer vorbestrafter Mann soll im September ein zehnjähriges Mädchen auf dem Weg zu Schule in Edenkoben entführt und dann missbraucht haben. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Frankenthal hätte das verhindert werden können. «Die Sicherungsverwahrung hätte nach meinem festen Eindruck dazu geführt, dass der jetzt beschuldigte Mann immer noch in Gewahrsam wäre und die Tat, um die es jetzt geht, nicht begangen worden wäre», hatte Hubert Ströber von der Staatsanwaltschaft einige Tage nach der Festnahme gesagt. Doch in einer früheren Verhandlung sei eine Einzelstrafe geringer ausgefallen, als es für eine Sicherungsverwahrung gesetzlich nötig gewesen wäre.
Eine Person muss als gefährlich eingeschätzt werden
Die Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung sind im Strafgesetzbuch geregelt. Der Kriminologe Axel Dessecker fasst sie so zusammen: «Die Sicherungsverwahrung setzt ein Gerichtsurteil voraus, bei dem jemand zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Es muss hinzukommen, dass es schon frühere Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe gab.» Anlass müssten schwere Delikte wie etwa Tötungsdelikte oder Sexualdelikte sein. Außerdem müsse jemand schon längere Zeit im Strafvollzug verbracht haben, sagt der Experte. «Inhaltlich geht es darum, dass die Person durch Gutachten als gefährlich eingeschätzt wird, in dem Sinne, dass sie weitere schwere Straftaten begehen würde.»
Im vergangenen Jahr waren in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 604 Menschen in Sicherungsverwahrung – darunter nur 2 Frauen. In Rheinland-Pfalz waren mit Stichtag Ende März 2023 50 Männer in der Sicherungsverwahrung untergebracht, wie das Justizministerium auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitteilte. Sie sind für das Saarland und Rheinland-Pfalz in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Diez untergebracht.
«Sicherungsverwahrung ist unbefristet»
Durchschnittlich waren die Menschen zum Stichtag Ende März dort achteinhalb Jahre. «Sicherungsverwahrung ist unbefristet, anders als eine Freiheitsstrafe», sagt Dessecker. Es müsse aber regelmäßig begutachtet werden, ob eine Person noch gefährlich sei.
In Sicherungsverwahrung landet grundsätzlich nur, wer schwere Straftaten begangen hat. Bei den Menschen in Rheinland-Pfalz waren das laut Ministerium Mord, Totschlag, Raub, räuberische Erpressung, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, sexueller Kindesmissbrauch und Körperverletzungsdelikte. «Die meisten Personen in Sicherungsverwahrung sind Sexualstraftäter», sagt Kriminologe Dessecker. Die Zahlen bestätigen das: Deutschlandweit waren bei 368 von 604 Fällen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Grund.
Die Sicherungsverwahrung komme immer erst nach der Freiheitsstrafe, erklärt Dessecker. «Nach der Verlegung in die Sicherungsverwahrung gelten dann andere Regelungen.» Dafür gebe es in jedem Bundesland eigene Gesetze.
«Geregelter Tagesablauf»
In der JVA Diez bestehe «ein geregelter Tagesablauf», wie das Justizministerium schreibt. Um 6.00 Uhr werden die Menschen geweckt, um 21.30 wird für die Nacht zugeschlossen. Wer in offenen Wohngruppen untergebracht ist, könne an Werktagen seinen Tagesablauf selbst gestalten. Im Bereich der Sicherungsverwahrung stehe den Untergebrachten in den offenen Wohngruppen ein großes Angebot an Freizeitmaßnahmen zur Verfügung, heißt es. Es gebe etwa einen Garten, Grillmöglichkeiten, Billard und Fitnessräume.
Außerdem nehmen die Menschen laut Ministerium an Behandlungsmaßnahmen teil oder arbeiten. Denn laut Gesetz hat die Sicherungsverwahrung zwar die Aufgabe, «die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten zu schützen». Der Vollzug soll dabei aber «therapiegerichtet» und «freiheitsorientiert» gestaltet sein.
«Im Gegensatz zu den Untergebrachten der offenen Wohngruppen dürfen sich die Untergebrachten der geschlossenen Wohngruppe während der vierstündigen Öffnungszeit nur im Wohngruppenbereich ihrer Wohngruppe aufhalten», teilt das Ministerium mit.
Die Sicherungsverwahrung ist also ein Balanceakt – zwischen dem Schutz der Öffentlichkeit und den Rechten der Untergebrachten. «Der Alltag in der Anstalt soll so gestaltet sein, dass es nicht auf den ersten Blick aussieht wie ein Gefängnis, sondern eher wie eine Institution, die man mit einem Wohnheim vergleichen kann», sagt Dessecker. «Aber es geht natürlich immer noch um eine Unterbringung im Justizvollzug, mit hohen Mauern und verschlossenen Türen.» (dpa)