Mainz. Gewalttätige Angriffe auf Einsatzkräfte haben in den vergangenen Jahren zunehmend öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Alltäglich seien solche Vorfälle glücklicherweise aber nicht, sagt Markus Christ, Abteilungsleiter des Rettungsdiensts im Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) Mainz-Bingen. Der Kreisverband feiert in diesem Jahr 100. Geburtstag, Christ ist dort schon seit 25 Jahren angestellt. Der Notfallsanitäter hat selbst Erfahrungen mit Gewalt und Respektlosigkeit im Dienst gemacht. «Ich habe das schon öfter persönlich erlebt und höre immer wieder von Vorfällen bei Kollegen», erzählt er. «Aber es ist nicht so, dass es heute mehr wäre als vor 20 Jahren – ich denke vielmehr, dass das Bewusstsein heutzutage ein anderes ist.»
Der Notfallsanitäter sieht sich und sein Team häufiger mit Respektlosigkeit und fehlendem Verständnis für seine Arbeit als mit Gewalt konfrontiert – zum Beispiel, wenn Rettungskräfte Patienten in den Wagen bringen und von ungeduldigen Autofahrern angehupt werden oder Anwohner in der Zentrale anrufen und fragen, ob die Rettungswagen nachts wirklich mit Sondersignal ausrücken müssen. Tätliche Angriffe seien deutlich seltener und geschähen meistens im Zusammenhang mit «psychischen Ausnahmezuständen», etwa wenn Drogen im Spiel seien oder bei Demenzerkrankungen. «Für die meisten sind wir immer noch die rettenden Engel», sagt der Notfallsanitäter.
Kriminalstatistik zeigt keinen eindeutigen Trend
Anhand der Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik für Rheinland-Pfalz lässt sich kein eindeutiger Trend feststellen: Im Jahr 2023 wurden 141 Rettungsdienstkräfte Opfer von Straftaten, das waren 15 weniger als im Vorjahr. Während von 2019 bis 2021 weniger als 120 Delikte registriert wurden, waren es 2018 noch 171. Zum Vergleich: 1758 Polizeikräfte wurden 2023 Opfer von Gewaltdelikten, in den Vorjahren lag die Zahl zwischen 1553 und 1788.
In die Analyse einbezogen werden Mord, Totschlag, Raub, vorsätzliche einfache, gefährliche und schwere Körperverletzung, Körperverletzung mit Todesfolge, Beteiligung an einer Schlägerei, Nötigung, Bedrohung, Freiheitsberaubung sowie Widerstand und tätliche Angriffe. Bei etwas mehr als der Hälfte (75) aller 141 Fälle, die 2023 erfasst wurden, handelte es sich um tätliche Angriffe gegen Rettungsdienstkräfte, 12 Fälle wurden als gefährliche Körperverletzung eingestuft.
Eigene Erhebungen des Landesverbands des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) sowie des Mainzer Vereins «Helfer sind tabu!» bestätigen, dass Gewalttaten und Respektlosigkeiten gegenüber Einsatzkräften in den vergangenen Jahren nicht zugenommen haben. Dennoch bereite das DRK seine Mitarbeiter in Fortbildungen auf den Ernstfall vor. «Dabei geht es um Deeskalation, das richtige Verhalten und die richtige Kommunikation in einem aggressiven Umfeld, aber auch um den Eigenschutz und psychosoziale Unterstützung im und nach dem Einsatz», teilt die Hilfsorganisation mit.
«Gewalt entsteht nicht aus dem Nichts»
Dazu arbeiten DRK, ASB, Malteser und Johanniter sowie der rheinland-pfälzische Rettungsdienst Corneli mit «Helfer sind tabu!» zusammen. Der im Jahr 2018 gegründete Verein hat gemeinsam mit Mario Staller, Professor für Psychologie und Training sozialer Kompetenzen an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen, ein Deeskalationstraining entwickelt. «Dabei geht es nicht um Selbstverteidigung, sondern darum, die Mitarbeitenden für potenzielle Konfliktsituationen zu sensibilisieren», erklärt der Vereinsvorsitzende Mathias Hirsch.
Die Rettungskräfte werden geschult, mögliche Konflikte frühzeitig wahrzunehmen, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren sowie sich in ihr Gegenüber hineinzuversetzen. «Gewalt entsteht selten aus dem Nichts», sagt Hirsch. «Die Teilnehmer lernen zu verstehen, wie eine Situation eskaliert und wie sie sich in Zukunft verhalten und schützen können.» Den Rettungskräften werde zudem vermittelt, Beleidigungen und Angriffe nicht persönlich zu nehmen. «Als Uniformträger wird man als Repräsentant des Staats wahrgenommen, mit dem manche unzufrieden sind», sagt der Vereinsvorsitzende. «Wir werden zwar im Rettungsdienst von keiner Gewaltwelle überrollt, aber jeder Fall ist bedauerlich und völlig überflüssig.»
Der ASB-Notfallsanitäter Markus Christ erfährt in seinem Berufsalltag nach wie vor viel Wertschätzung, wie er berichtet. «Man hat viele Erfolgserlebnisse, die einem das Gefühl geben, etwas Sinnvolles zu tun. Manchmal rettet man Leben, das ist ein ganz tolles Gefühl. Und man hilft vielen Menschen, die einem dafür Dankbarkeit entgegenbringen.» (dpa)