Nürnberg / Rhein-Neckar. Die Daten, die die Deutsche-Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) zusammengetragen hat, sind alarmierend: 2022 sind in Deutschland mindestens 355 Menschen ertrunken, 56 mehr als im Jahr zuvor. Und auch in der laufenden Badesaison schnellt die Zahl der Unfälle deutschlandweit wieder nach oben. Auch in der Rhein-Neckar-Region häufen sich tödliche Badeunfälle, wie beispielsweise in Heddesheim, wo am Sonntagnachmittag ein 22-Jähriger starb.
Laut der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. (DGAI) ist es daher umso wichtiger, dass jeder Einzelne weiß, wie Menschen, die leblos aus dem Wasser gezogen werden, behandelt werden müssen, damit ihre Überlebenschancen so hoch wie möglich sind. Dr. Jan Wnent arbeitet in der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin des Katholischen Klinikums Bochum. Er ist Notarzt und Mitglied im Wissenschaftlichen Arbeitskreis Notfallmedizin der DGAI und erklärt im Interview, worauf es bei der Rettung ankommt.
Dr. Wnent, angenommen man entdeckt eine leblose Person im Wasser. Was muss man tun?
Jan Wnent: Ich möchte voranstellen, dass man auch als Rettender zu allererst sich selbst schützen muss. Das bedeutet: Immer als erstes den Notruf wählen, damit schnell weitere Hilfe kommen kann. Dann Ausschau nach einem Rettungsschwimmer oder einer Rettungsschwimmerin halten oder, wenn keiner in der Nähe ist, andere Badegäste ansprechen.
Wie geht man vor, wenn der Verunglückte aus dem Wasser geholt wurde?
Wnent: In jedem Fall prüft man zunächst, ob der Patient oder die Patientin bei Bewusstsein ist und, sollte dies nicht der Fall sein, ob er oder sie atmet. Dazu dreht man die Person auf den Rücken, überstreckt ihren Kopf, in dem man ihn leicht in den Nacken legt. Dann beugt man sich mit dem eigenen Gesicht nahe an ihr Gesicht und blickt dabei selbst in Richtung ihrer Füße. So kann man zum einen hören, ob der Verunglückte atmet, zum anderen erkennen, ob sich der Brustkorb hebt und senkt. Außerdem fühlt man durch die Nähe zum Gesicht auch den Atemstoß an der eigenen Wange. Atmet der Patient normal, so sollten die Atemstöße regelmäßig und relativ tief sein. Dann legt man ihn in die stabile Seitenlage. Nicht normal ist hingegen eine ganz flache, oberflächliche und unregelmäßige Atmung, die sogenannte Schnappatmung.
Wie ist die zu bewerten?
Wnent: Die ist wie ein Atemstillstand zu bewerten und im Zusammenhang mit Bewusstlosigkeit ein Zeichen für einen Herz-Kreislauf-Stillstand. Dann beginnt man sofort mit den Wiederbelebungsmaßnahmen. Das gilt ebenso, wenn der Patient oder die Patientin gar nicht atmet und nicht bei Bewusstsein ist.
Haben Sie dafür Tipps, die man sich als Laie merken sollte?
Wnent: Der Patient oder die Patientin sollte auf dem Rücken auf einer harten Unterlage liegen. Dann platziert man selbst den Handballen der einen Hand auf dem Brustbein des Patienten in der Mitte des Brustkorbes. Die andere Hand ist über der ersten Hand. Man drückt dann den Brustkorb fünf bis sechs Zentimeter nach unten. Die Frequenz sollte dabei bei 100 bis 120 liegen. Was man beachten muss: Badeunfälle gehen häufig mit einem akuten Sauerstoffmangel einher. Wenn man es sich zutraut, sollte man denjenigen daher auch beatmen.
Aber heißt es nicht häufig, die reine Herzdruckmassage würde ausreichen?
Wnent: Das stimmt für andere Fälle. Aber durch den Sauerstoffmangel ist eine Beatmung in diesem Fall wirklich wichtig. Auch hierbei überstreckt man wieder den Kopf, legt eine Hand auf die Stirn und kann mit dieser gleichzeitig mit Daumen und Zeigefinger die Nase des Bewusstlosen zuhalten. Die andere Hand liegt unter dem Kinn. Bei der Mund-zu-Mund-Beatmung sollte man so viel an Luft abgeben, wie man selbst ausatmen würde. Das heißt, wenn man aus dem Augenwinkel sieht, dass sich der Brustkorb des Patienten hebt, ist das vollkommen ausreichend. Jeweils zwei Beatmungen wechseln sich dann immer mit 30 Herzdruckmassagen ab. Und das muss man so lange machen, bis der Rettungsdienst eintrifft. Besser ist es, wenn mehrere Personen anwesend sind, dann kann man sich regelmäßig abwechseln.
Gerade vor der Mund-zu-Mund-Beatmung schrecken die meisten aber doch zurück…
Wnent: Das ist richtig. Auch wenn das Risiko für Infektionen sehr gering ist, ist es für viele vor allem eine psychologische Barriere. Man kann daher ein Face-Shield benutzen, die es inzwischen auch als Anhänger für den Schlüsselbund gibt. Sie bieten eine gewisse Barriere zum Patienten.
Sollte man bei Kindern besondere Dinge beachten?
Wnent: Bei Kindern bis zum Jugendlichen-Alter fängt man immer mit fünf Initialbeatmungen an. Je nach Körperbau führt man die Herzdruckmassage außerdem nur mit einer Hand durch. Die Eindrucktiefe sollte ungefähr ein Drittel des Durchmessers des Brustkorbes sein. Das Verhältnis von Herzdruckmassagen zu Beatmungen ist in diesem Fall 15:2. Das heißt, 15 Mal drücken, dann zwei Mal beatmen.
Welche Hinweise würden Sie als Mediziner Badenden gern noch mit an die Hand geben, damit so ein Unfall eben nicht passiert?
Wnent: Die Baderegeln beachten, also nicht mit vollem Magen ins Wasser gehen. Nicht, wenn man Alkohol getrunken hat. Und auch nicht direkt aus der Hitze in kaltes Wasser springen. Das kann gerade bei Personen, die Herz-Kreislauf-Vorerkrankungen haben, sehr gefährlich sein, weil dann der Blutdruck absacken und man kurzzeitig das Bewusstsein verlieren kann. Im Wasser ist das natürlich höchst gefährlich. Wichtig ist außerdem noch, die eigenen Fähigkeiten, den Übungsstand und die körperliche Fitness richtig einzuschätzen. Außerdem warne ich davor, in unbekannte Gewässer zu springen. Zum einen, weil das in zu seichtem Wasser und auch aufgrund von Steinen oder Felsen unter der Oberfläche zu Verletzungen führen kann. Zum anderen werden aber auch gerade Fließgewässer immer unterschätzt. Die Strömung ist hier oftmals stärker, als man das von außen sieht. Wenn dann die eigenen Schwimmfähigkeiten nicht ausreichen, kann es schnell passieren, dass man in eine gefährliche Situation gerät. Am allerwichtigsten ist aber, beim Baden immer vorsichtig und vor allem vernünftig zu sein.
Foto: Dr. Jan Wnent, Anästhesist und Notfallmediziner an der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin des Katholischen Klinikums Bochum sowie Mitglied im Wissenschaftlichen Arbeitskreis Notfallmedizin der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V.
(Quelle: DGAI; ots/dls)