Christian Lindner, Spitzenkandidat der FDP für die vorgezogene Bundestagswahl am 23. Februar 2025, trat am Mittag vor einem bis auf den letzten Platz gefüllten Saal des Deutsch-Amerikanischen Instituts (DAI) in Heidelberg auf. Rund 200 Interessierte hatten sich eingefunden, um den ehemaligen Bundesfinanzminister zu hören. Die Veranstaltung verlief reibungslos, vor der Tür gab es nur eine kleine Gruppe Demonstranten aus dem linken politischen Spektrum. Ein Demonstrant wurde im Lauf der Veranstaltung von der Polizei in Gewahrsam genommen.
Lindner eröffnete seine Rede mit einer Bemerkung über die starke Resonanz: „Das Erscheinen von so vielen Bürgerinnen und Bürgern, das ist bereits die eigentliche Nachricht, dass nämlich mit den Freien Demokraten am 23. Februar zu rechnen ist, im Bund und sogar in Heidelberg.“ Die Wahlkampfstimmung war von Beginn an spürbar.
Einen großen Teil seiner Rede widmete Lindner einer Analyse der politischen Landschaft in Deutschland. Besonders die Ampel-Regierung, die durch interne Konflikte und Differenzen gescheitert war, stand in seinem Fokus. Die Polarisierung in der Gesellschaft bereite ihm Sorge: „Wir haben auf der einen Seite die blauen Balken in den Umfragen, 20% der Menschen, die sagen, sie können sich vorstellen, eine rechtspopulistische Partei zu wählen, und auf der anderen Seite, ganz links, die ebenfalls mit Einschüchterung arbeiten.“
Lindner bekräftigte die strikte Abgrenzung seiner Partei zur AfD: „Mit der AfD als rechtspopulistischer Partei kann es kein Zusammenwirken geben.“ Gleichzeitig kritisierte er aber auch den politischen Umgang mit der AfD und warnte davor, deren Wähler zu stigmatisieren: „Man bekommt die AfD nur klein, indem man die Probleme klein macht, die diese Partei einst groß gemacht hat.“
Ein zentrales Thema der Rede war die Migrationspolitik. Lindner griff die aktuellen Debatten um die Abschiebepraxis und die Sicherheitslage auf und nannte konkrete Beispiele: „Wir haben dieses schreckliche Ereignis in Aschaffenburg gehabt, wo ein kleiner Junge erstochen worden ist und ein Familienvater der Eltern.“ Er führte diesen Fall auf behördliches Versagen zurück und machte deutlich: „Wir brauchen wieder einen Rechtsstaat, der dafür sorgt, dass wir alle uns zu jeder Zeit und an jeder Stelle auf diese öffentliche Ordnung verlassen können.“
Lindner forderte eine konsequentere Abschiebepraxis und den Ausbau von Rücknahmeabkommen mit Ländern wie Afghanistan und Syrien. Er betonte, dass eine geordnete Migration essenziell für Deutschland sei: „Wir haben es viel zu lange denen schwer gemacht zu kommen, die wir dringend in unserem Arbeitsmarkt brauchen, und wir haben es viel zu lange denen leicht gemacht zu bleiben, die irregulär in unseren Sozialstaat einwandern wollten. Umgekehrt wäre besser.“
Ein weiteres Schwerpunktthema der Rede war die aktuelle wirtschaftliche Lage. Lindner zeichnete ein düsteres Bild: „Wir haben eine veritable Wirtschaftskrise. Wir haben fast drei Millionen Arbeitslose wieder. Wir haben eine Million Langzeitarbeitslose.“ Besonders die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sei in den letzten Jahren massiv gesunken: „Wir waren 2014 Platz 6 der globalen Wettbewerbsfähigkeit. Und dann ging es zehn Jahre, in jedem Jahr runter. Jetzt sind wir auf Platz 24.“
Er schilderte eine Anekdote von einem Treffen mit internationalen Finanzministern beim Internationalen Währungsfonds (IWF): „Beim IWF wurde die globale Wachstumsschwäche mit einem Bild illustriert. Und was sah man? Berlin! Deutschland wurde nicht mehr als Erfolgsmodell gesehen, sondern als Beispiel für wirtschaftliche Schwäche.“ Lindner sieht den Grund dafür in übermäßiger Bürokratie, mangelnder Innovationskraft und einer zu geringen Wachstumsorientierung der Politik.
Als Lösungen präsentierte Lindner einen konsequenten Bürokratieabbau sowie steuerliche Entlastungen für Unternehmen und Bürger. Er forderte unter anderem die Abschaffung des Lieferkettensorgfaltspflichtgesetzes, das er als innovationshemmend bezeichnete: „Es gibt Verpflichtungen, dass man in Handwerksbetrieben dokumentieren muss, wie man sich die Hände eincremt. Erwachsene Menschen können doch wohl selbst feststellen, ob ihre Hände trocken sind oder nicht.“
Auch das Arbeitszeitgesetz müsse reformiert werden. Lindner erzählte von einem Radladerfahrer, der zehn Stunden am Tag arbeiten wolle, aber gesetzlich auf acht Stunden begrenzt sei: „Wer mehr arbeiten will, soll dürfen. Niemand muss müssen, aber wer mehr will, soll dürfen.“
Lindner kritisierte die aktuelle Klimapolitik der Ampel-Regierung und forderte einen pragmatischeren Ansatz. Er sprach sich gegen ein festgelegtes Verbot einzelner Technologien aus und plädierte für eine ergebnisoffene Klimapolitik: „Alle Farben des Wasserstoffs – nicht nur den teuren grünen, sondern auch blauen oder roten Wasserstoff – müssen erlaubt sein.“
Er machte zudem deutlich, dass Deutschland im internationalen Wettbewerb stehe und eine Balance zwischen Klimaschutz und wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit finden müsse. Seiner Ansicht nach bringe die aktuelle deutsche Klimapolitik keinen globalen Nutzen: „Jede Tonne CO2, die wir zusätzlich in Deutschland einsparen, wird nur günstiger in Polen, Frankreich oder Italien ausgestoßen.“
Zum Abschluss seiner Rede blickte Lindner auf die bevorstehende Bundestagswahl. Er stellte klar, dass er Friedrich Merz (CDU) für den wahrscheinlichen nächsten Bundeskanzler hält, äußerte aber Zweifel daran, ob dies allein einen Politikwechsel bringe: „Die CDU will ins Kanzleramt, egal ob mit SPD oder Grünen – doch genau das wäre keine echte Wende.“
Er warnte vor einer möglichen Kenia-Koalition (Union, SPD, Grüne) und machte deutlich, dass die FDP für eine wirtschaftsliberale Politik kämpfen werde: „Wir brauchen am 23. Februar nicht nur einen Kanzlerwechsel, sondern einen Politikwechsel.“
Mit einer Mischung aus Ernsthaftigkeit und Humor schloss Lindner seine Rede. Besonders sein Seitenhieb auf Robert Habeck, der nach seiner Vorstellung wieder Kinderbücher schreiben könnte, sorgte für Lacher im Publikum: „Ich hätte persönlich nichts dagegen, wenn Robert Habeck in seinen alten Job als Kinderbuchautor zurückkehrt.“
Lindners Auftritt in Heidelberg war ein klarer Wahlkampfauftritt mit scharfen Angriffen auf die Ampel-Parteien, einer entschiedenen Abgrenzung zur AfD und wirtschaftsliberalen Reformvorschlägen. Ob die FDP am 23. Februar die erhofften Stimmenzuwächse verzeichnen kann, bleibt abzuwarten. Doch Lindners Botschaft war unmissverständlich: „Alles lässt sich ändern. Aber eines darf sich nicht ändern: die Liberalität dieser Gesellschaft und der liberale Charakter unserer Demokratie.“