In einem Interview mit RNF spricht FDP-Chef Christian Lindner über die vergangene Sitzungswoche im Bundestag, die gescheiterte Einigung in der Migrationspolitik und seine klare Abgrenzung zur AfD. Gleichzeitig kritisiert er die Grünen für eine Politik, die seiner Ansicht nach die wirtschaftliche Stagnation und Unsicherheiten in der Bevölkerung verstärkt habe. Zur Steuerpolitik stellt er klar, dass eine aktuelle Studie des ZEW fehlerhaft sei und die FDP insbesondere Geringverdiener entlasten wolle. Zudem beklagt Lindner eine zunehmend feindselige Debattenkultur, die von extremen politischen Rändern bestimmt werde. Seine Kernbotschaft: Die Mitte müsse standhaft bleiben und sich sowohl nach rechts als auch nach links verteidigen.
Herr Lindner, mit welchen Erkenntnissen und Reflexionen sind Sie aus dieser hitzigen Debattenwoche vergangene Woche aus dem Bundestag gegangen?
Christian Lindner:
Wir haben gesehen, es gibt die Möglichkeit auf neuen Realismus in der Migrationspolitik. Wir brauchen Kontrolle, Konsequenz und Beschränkung, damit die Weltoffenheit und Vielfalt unseres Landes nicht in Frage gestellt werden.
Aber leider ist ein fraktionsübergreifender Konsens gescheitert, insbesondere an den Grünen. Das bedauere ich sehr.
Sie haben unterdessen eine Koalition mit den Grünen ausgeschlossen. Sagen Sie das so klar auch in Bezug auf die AfD?
Christian Lindner:
Ja, mit der AfD kann es keinerlei Zusammenwirken geben.
Mit den Grünen kooperieren wir natürlich – das ist eine demokratische Fraktion. Aber hinsichtlich der Regierungsbildung haben die Erfahrungen der letzten Jahre und der letzten Wochen gezeigt: Das, was wir für erforderlich halten, das, was das Land braucht, ist mit den Grünen nicht zu liefern – im Gegenteil.
Die wirtschaftliche Stagnation, das Heizungschaos, das viele verunsichert hat, die teilweise belehrende Attitüde gegenüber erwachsenen Menschen und die Verweigerung von neuer Kontrolle bei der Migration – all das triggert die AfD. Die Grünen haben also eine Mitverantwortung dafür, dass die AfD wächst. Deshalb brauchen wir eine Politik der Mitte.
Mit welchen Angeboten an die Bürger wollen Sie nun die 5%-Hürde knacken?
Christian Lindner:
Die FDP ist sozusagen die Erfinderin der Wirtschaftswende. Unsere Vorschläge werden von Wirtschaft und Wissenschaft sehr begrüßt: Bürokratieabbau, steuerliche Entlastungsmaßnahmen, Realismus in der Klima- und Energiepolitik.
Wir stehen für ein weltoffenes Deutschland – aber eine Weltoffenheit, die nicht zulasten von Sicherheit und Kontrolle geht. Und eine Partei muss es geben, die marktwirtschaftliche Positionen mit dem Einsatz für Bürgerrechte verbindet – das ist nur die FDP.
Nach der letzten ZEW-Studie hätte der Normalbürger weniger Netto vom Brutto, wenn man Ihre Steuerpolitik verfolgt. Sie sagen, das ist falsch. Was ist denn nun richtig?
Christian Lindner:
Die ZEW-Studie ist falsch, weil sie sich Dinge ausdenkt. Zum Beispiel behauptet sie, dass die FDP das Wohngeld abschaffen wolle – das ist kontrafaktisch.
Tatsächlich sollte man auf die Berechnungen des Bundes der Steuerzahler schauen. Und die zeigen: Die höchste Entlastung haben bei uns die Menschen mit dem geringsten Einkommen.
Das hängt schlicht damit zusammen, dass wir den Grundfreibetrag um 1.000 Euro erhöhen wollen. Also das Einkommen, das man in Deutschland verdienen kann, ohne überhaupt Steuern zu zahlen.
Wir stellen aktuell fest, dass der Ton in der Debatte grundsätzlich schärfer wird, auch getriggert durch soziale Medien. Wie wollen Sie zu mehr Konsens und einer konstruktiveren Debattenkultur beitragen?
Christian Lindner:
Ich bin Opfer dieser rauen Sitten. Überall, wo ich hinkomme, sind linke Aktivisten, autonome Klimakleber, Antifa und die Grüne Jugend – sie wollen keine Argumente hören, sie wollen stören, einschüchtern und brüllen.
Und da darf die Mitte nicht weichen. Der blaue Balken in den Umfragen wird immer größer, und auf der Straße sind es Linke, die brüllen, einschüchtern und stören.
Wir dürfen unsere Argumente als Politikerinnen und Politiker der Mitte nicht rauer werden lassen – aber wir müssen uns in beide Richtungen, nach links und rechts, wehren.
Vielen Dank für fünf Antworten.
(Das Interview führte Ralph Kühnl.)