Ein Rekord, ein Standort mit Symbolkraft – und ein deutlicher Appell an Europa: Die Deutschen Biotechnologietage 2025 in Heidelberg standen nicht nur für die Innovationskraft der Branche, sondern auch für eine politische Zeitenwende. Inmitten globaler Verwerfungen setzen Forschende, Start-ups und Industriepartner ein Zeichen für offene Wissenschaft, Technologietransfer und europäische Souveränität.
Über 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Deutschland kamen am 9. und 10. April ins neu eröffnete Heidelberg Congress Center – so viele wie nie zuvor. Zwischen Workshops, Podiumsdiskussionen, Partnering-Sessions und einer umfassenden Messefläche entstand das Bild einer Branche, die sich neu positioniert: wissensbasiert, international vernetzt – und selbstbewusst.
„Wir sind die Biotech-Stadt Deutschlands, wenn nicht Europas“, sagte Heidelbergs Oberbürgermeister Prof. Dr. Eckart Würzner beim Messerundgang durch das sogenannte BioRN Village. Auf dieser gemeinsamen Ausstellungsfläche präsentierten sich 19 Unternehmen und Institutionen aus dem regionalen Life-Science-Cluster – darunter auch das Start-up BIMOVIS, das mit seinen Visualisierungen molekularer Strukturen für Aufsehen sorgte.
Was BIMOVIS macht, ist hochspezialisiert – aber erstaunlich anschaulich. Das Unternehmen erstellt atomgenaue Strukturen von Proteinen und bereitet sie so auf, dass sie nicht nur für Forscher, sondern auch für ein breiteres Publikum verständlich werden. Möglich wird das durch innovative Technologien wie 3D-Druck, hochwertige Illustrationen und immersive Virtual-Reality-Anwendungen.
„Proteine sind wie Werkzeuge in unserem Körper“, erklärt Dr. Mathias Gschell, Scientific Project Manager von BIMOVIS. „Wenn man ihre Form nicht kennt, kann man sie weder reparieren noch richtig einsetzen. Wir bestimmen ihre exakte Struktur und machen sie sichtbar – damit aus biologischem Wissen konkrete Anwendungen werden können.“
Eine Besucherin am Stand setzte sich eine VR-Brille auf – und stand plötzlich mitten in einer schwebenden Molekülstruktur. In Zeiten, in denen Komplexität oft als unzugänglich gilt, wirkt diese direkte Begegnung mit der Biologie fast wie ein Türöffner: Wissenschaft zum Anfassen.
Doch der Blick ging in Heidelberg weit über Labore und Gründungsgeschichten hinaus. In mehreren Reden war spürbar: Die globale Lage verändert auch die Spielregeln in der Wissenschaft. In den USA – einst Vorbild für Innovationskraft – kommt es unter der Trump-Administration zu massiven Einschränkungen für Forschungseinrichtungen wie die FDA, die NIH oder Universitäten wie Johns Hopkins. Fördermittel werden gestrichen, administrative Hürden erhöht, die Freiheit von Forschenden unter Druck gesetzt.
Oliver Schacht, Vorstandsvorsitzender des Branchenverbands BIO Deutschland, formulierte es deutlich:
„Was sich dort abspielt, wird mittel- und langfristig auf unsere Branche gravierende Auswirkungen haben. (…) Doch diese Entwicklung eröffnet uns in Europa auch einmalige Chancen – wenn wir sie erkennen und ergreifen.“
Und er präzisierte, was das bedeutet: „Wir müssen die USA als strategische Lücke begreifen – und sie nicht beklagen, sondern ausfüllen. Deutschland kann und muss internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aufnehmen und ihnen eine neue Heimat geben.“
Dass dies bereits passiert, bestätigte Dr. Julia Schaft, Geschäftsführerin des BioRN Life Science Clusters, dem regionalen Gastgeber der Veranstaltung:
„Wir beobachten einen sprunghaften Anstieg von Bewerbungen hochqualifizierter Wissenschaftler aus den USA – etwa beim EMBL oder am BioMed X Institute. Menschen, deren Arbeit dort nicht mehr geschätzt wird, finden bei uns offene Strukturen und neue Perspektiven.“
Schaft machte in ihrer Rede zudem deutlich, dass es nicht nur um einzelne Karrieren geht, sondern um eine strategische Weichenstellung:
„Europa muss wissenschaftlich souveräner werden. Wir brauchen weniger Bürokratie, mehr Technologietransfer, gemeinsame Märkte und gezielte Förderung. Dafür steht BioRN als Cluster – regional verankert, aber europäisch denkend.“
Der Gastgeber Heidelberg positioniert sich dabei nicht nur als Wissenschaftsstandort, sondern auch als wirtschaftspolitischer Akteur. OB Würzner erinnerte daran, dass Deutschland keine natürlichen Rohstoffe wie Öl oder Gas besitze – „aber Wissen“. Und dieses Wissen müsse nicht nur gepflegt, sondern auch produktiv gemacht werden:
„Wenn wir daraus keine Produkte entwickeln, dann werden auch unsere Kinder keine Perspektive haben“, so Würzner. „Wir müssen den Elfenbeinturm verlassen und mehr Translation wagen – Forschung, die in Wirtschaft übergeht und hier vor Ort bleibt.“
Genau daran arbeitet Heidelberg seit Jahren: mit BioLabs als Inkubator, mit Infrastrukturinvestitionen wie dem neuen Kongresszentrum, mit neuen klimaneutralen Stadtteilen wie der Bahnstadt und mit einer aktiven Standortstrategie, die bewusst auch auf internationale Kooperationen setzt.
Die Deutschen Biotechnologietage 2025 waren mehr als ein Branchentreff. Sie markierten einen Wendepunkt in der Debatte über Europas wissenschaftliche Zukunft. Zwischen VR-Molekülen, politischen Reden und persönlichen Begegnungen wurde klar: Biotechnologie ist längst mehr als Technik – sie ist ein Gradmesser dafür, wie offen, innovationsfreudig und kooperationsfähig eine Gesellschaft ist.
Und Heidelberg? Zeigte sich dabei als Vorreiter – nicht nur im Denken, sondern auch im Handeln.