Mannheim. Mehr als eineinhalb Jahre nach einem gewaltsamen, tödlichen Polizeieinsatz am Marktplatz in der Mannheimer Innenstadt wird die folgenschwere Kontrolle nun auch vor Gericht aufgearbeitet. Zwei Polizisten müssen sich von Freitag (09.00 Uhr) an vor dem Landgericht der Quadratestadt verantworten, weil sie Anfang Mai 2022 den Tod eines psychisch kranken Mannes verschuldet haben sollen. Der 47-Jährige war bei dem Polizeieinsatz am Marktplatz zusammengebrochen und im Krankenhaus gestorben. Der Mann mit kroatischen Wurzeln litt an einer paranoiden Schizophrenie und war Patient im Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim.
Einer der beiden Polizeibeamten ist wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge angeklagt, der andere wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen. Insgesamt acht Verhandlungstage sind für den Prozess angesetzt, der bis März 2024 laufen soll.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft mahnte vor dem Auftakt, Beamte hätten zunehmend erhebliche Probleme im Umgang mit psychisch kranken Menschen. «Immer häufiger muss die Polizei Zwangsmittel einsetzen, auch zum Schutz der Polizei selbst», sagte der baden-württembergische Gewerkschaftsvorsitzende Ralf Kusterer der dpa.
Polizeieinsatz fast lückenlos auf Video
Die entscheidende Auseinandersetzung der Mannheimer Polizei mit dem 47-Jährigen und seine letzten Momente bei Bewusstsein sind nahezu lückenlos über Videoaufnahmen dokumentiert. Passanten haben Clips aufgenommen und in den sozialen Medien geteilt, Überwachungskameras zeichneten die Szene damals auf. Zu sehen ist, wie das spätere Opfer die Straße überquert, wie einer der Polizisten ihn ergreift und wie sich der Mann losreißt, bevor er überwältigt wird.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hatte der Mann zuvor das Institut aufgesucht, weil er seit Jahren an einer paranoiden Schizophrenie litt und sich sein Zustand verschlechtert hatte. Er verließ es allerdings wieder und konnte auch von seinem Arzt nicht zur Rückkehr bewegt werden. Der besorgte Mediziner bat schließlich die beiden Polizisten um Hilfe.
Hier setzen die Videos ein: Weil sich der Mann nicht zur Rückkehr in das Institut bewegen lässt und wehrt, sprüht ihm der Polizeioberkommissar nach Angaben der Staatsanwaltschaft Pfefferspray ins Gesicht. Der Patient wehrt sich mit Faustschlägen, bis ihn beide Beamten zu Boden bringen, wie es auch in einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft weiter heißt. Als der Kommissar Handschellen anlegen will, bäumt sich der Mann auf, der Beamte schlägt ihm viermal mit der Faust gegen den Kopf, der Patient blutet aus der Nase und bleibt einige Minuten auf dem Bauch liegen. Eine letzte Bewegung noch, dann regt er sich nicht mehr.
Notfall oder Polizeigewalt?
Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt: «Insbesondere durch die lange und ungünstige Fixierung auf dem Bauch und eine Blockierung der oberen Atemwege durch eingeatmetes Blut litt der 47-Jährige unter Sauerstoffmangel». Heißt: Der 137 Kilo schwere Mann starb, weil er auf dem Boden liegend wegen des Drucks auf den Oberkörper nicht mehr richtig atmen konnte und weil er Nasenbluten hatte. Den Ermittlungen zufolge waren weder das Pfefferspray noch die vier Schläge nach polizeirechtlichen oder sonstigen Vorschriften gerechtfertigt. Mehr noch: Sie seien mitursächlich für den Tod gewesen, erklärte die Staatsanwaltschaft.
Aus ihrer Sicht hat der ebenfalls angeklagte Polizeihauptmeister nicht selbst ungerechtfertigte Gewalt angewandt, er brachte den Mann aber auch nicht in eine Seitenlage. Damit hätte der Tod nach vorläufiger Einschätzung der Rechtsmedizin «mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit» vermieden werden können, hieß es. «Der 47-Jährige hätte dann freier atmen können.»
Debatte über Polizeigewalt
Der Fall hatte eine Debatte darüber angefacht, ob Mannheimer Polizisten und Polizistinnen generell gut genug auf den Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen vorbereitet sind. In der Stadt bildete sich nach dem Tod des 47-Jährigen die Initiative «2. Mai Mannheim», die sich mit den Hinterbliebenen solidarisiert, es wurde auch ein Gedenkzug organisiert. Über ein Hinweisportal des Landeskriminalamts Baden-Württemberg kamen 120 Videosequenzen zusammen, aus denen ein einstündiger, chronologischer Zusammenschnitt erstellt wurde. Mehr als 90 Menschen wurden als Augenzeugen ermittelt.
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(dpa/dls)