Altersarmut, Einsamkeit und Obdachlosigkeit sind die Gründe für den Besuch von Vesperkirchen im Land. In diesem Jahr könnten wegen erhöhter Preise für Heizung und Lebensmittel mehr Menschen das kirchliche Angebot eines warmen Mittagessens wahrnehmen, das am Sonntag in Mannheim und Karlsruhe startet. «Wegen der Energiekrise könnte es sein, dass die Vor-Corona-Zahl von 13 000 ausgeteilten Essen überschritten wird», sagte Diakoniesprecherin Jessica Lammer in Mannheim. Mit Gottesdiensten in der Mannheimer CityKirche Konkordien und der Karlsruher Johanniskirche beginnt die Saison für etliche Vesperkirchen im ganzen Südwesten. Neben der Mahlzeit stehen den Besuchern ärztliche, zahn- und tierärztliche Betreuung sowie Beratung durch Sozialarbeiter zur Verfügung. Mancherorts gibt es auch kostenlose Haarschnitte.
In Karlsruhe wird mit einem Konzept von Hütten rund um die Johanniskirche, in denen Kleidung oder Kaffee und Tee angeboten werden, der Infektionslage noch Rechnung getragen. Wer die Kirche betreten will, muss eine Maske tragen. Essen gibt es zum Mitnehmen. Im vergangen Jahr wurden etwa 8500 Essen in den Innenhöfen rund um die Johanniskirche an Bedürftige verteilt, außerdem wurden 3000 Essen an Obdachlose und Alkoholabhängige geliefert.
In Mannheim hingegen wird das Essen-To-Go nur noch im kleinen Rahmen angeboten. Schließlich stehe bei den Vesperkirchen das Erlebnis des gemeinschaftlichen Essens im Vordergrund, sagte Lammer. Auf dem Speiseplan stehen in der Konkordienkirche jeden Tag ein Fleisch- und ein vegetarisches Gericht zur Auswahl. Das Spektrum des spendenfinanzierten Angebots reicht von Rinderbraten in Rotweinsoße bis zum Kartoffelcurry. Für das Mahl zahlt jeder so viel, wie er kann. Kontrollen gibt es keine in der Kirche mit ihren 250 Plätzen. Lammer beziffert die Kosten auf 150 000 Euro bis 190 000 Euro. In Karlsruhe ist das Essen prinzipiell gratis.
In Stuttgart beginnt am 15. Januar die größte Vesperkirche im Südwesten. Die Landeshauptstadt war 1995 mit der Leonhardskirche Vorreiter der Vesperkirchen, von denen es nun bundesweit etwa 40 gibt.