Neun Monate sind sie unzertrennlich – Mutter und Kind. Aber was nach der Geburt passiert, steht auf einem anderen Blatt: In welche Beziehungsmuster die innige Verbindung mündet, lotet eine Ausstellung in der Mannheimer Kunsthalle aus. Unter dem Titel «MUTTER!» sind rund 150 Objekte zu sehen, in denen Künstler und Künstlerinnen sich mit dem Thema auseinandersetzen oder die bestimmte Aspekte versinnbildlichen. Dabei spannt die Schau (1. Oktober bis 6. Februar) den Bogen von prähistorischen Fruchtbarkeitsgöttinnen über die seit Jahrhunderten prägenden christlichen Madonnendarstellungen bis hin zur künstlerischen Verweigerung der Mutterschaft.
Die vielschichtige und zum Teil ambivalente Annäherung an den Ursprung des Lebens wurde im dänischen Museum Louisiana konzipiert und in Mannheim mit eigenen Akzenten erweitert – etwa mit der verstörenden Installation von Kaari Upson: In ihrer Arbeit «Mother’s legs» (Mutters Beine) vereint die amerikanische Künstlerin mittels überdimensionaler Latex-Abgüsse der eigenen Knie und der ihrer Mutter Nähe und Distanz zu letzterer.
Die klassische Darstellung der Mutter als Spenderin von Geborgenheit und Fürsorge findet sich in Gemälden Pablo Picassos und Paula Modersohn-Beckers ebenso wie in den Skulpturen Henry Moores und Käthe Kollwitz‘ wieder. Das Motiv der idealisierten Mutter wirkt bis heute: Die Popsängerin Beyoncé inszenierte sich 2017 im Netz in der Pose der Heiligen Jungfrau mit ihren Zwillingen im Arm.
Andere Frauen empfinden Mutterschaft als Bürde, die ihre individuelle Entfaltung behindert. Exemplarisch für diese Position ist Meret Oppenheims nur im Katalog abgedrucktes Votivbild Würgeengel (1931), auf dem sie sich als Kindsmörderin darstellt. Sie schuf das Werk im Alter von 18 Jahren, als sie sich an der Kunstakademie in Paris einschrieb; es sollte sie daran erinnern, sich voll und ganz der Kunst zu widmen. Eine ähnliche Absage an die Mutterschaft erteilt Elina Brutherus nach vergeblichen Versuchen, ein Kind zu bekommen. Sie lässt sich schließlich mit einem Hund statt mit einem Baby ablichten. Die Arbeit aus dem Jahr 2013 trägt den provokanten Titel: «My dog is cuter than your ugly baby» (Mein Hund ist süßer als dein hässliches Baby).
Der sehr emotionale Zugang zu Kunst sei ein Experiment, erläuterte Kunsthallen-Chef Johan Holten. «Ich erwarte besonderes Interesse bei jungen Menschen und bei älteren, die bislang mit zeitgenössischer Kunst nicht so viel anfangen können.»
Ein Highlight der Schau sind die roten Roben der Mägde aus der Verfilmung von Margaret Atwoods Roman «Der Report der Magd». In der von ihr entworfenen Diktatur werden die wenigen gebärfähigen Frauen zu Sklavinnen gemacht, um Babys für die zunehmend unfruchtbare herrschende Klasse zu gebären – Reproduktion als politische Unterdrückung. Auch die Auswirkungen der Nazi-Diktatur, der Teilung Deutschlands und des Feminismus auf Wahrnehmung und Erfahrung von Müttern werden auf zehn Texttafeln zur Geschichte der Mutterschaft im 20. Jahrhundert beleuchtet. Ein Blick auf die Rolle dominanter Mütter auch über den Tod hinaus wie im Hitchcock-Thriller «Psycho» runden das vielfältige Angebot zum Nachdenken über die eigenen Wurzeln ab. (dpa/lsw/asc)