Der Unmut in der Bevölkerung gegenüber Protest-Aktionen der Klimaschutz-Gruppe Letzte Generation äußert sich auch handfest. Die Aktivisten berichteten am Donnerstag, ein Autofahrer habe am Vorabend Teilnehmer eines Protestmarschs in Mannheim getreten und ins Gesicht geschlagen. Darüber hat die Polizei nach eigenen Angaben erst durch Medien erfahren. «Die Polizei befand sich zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung noch nicht vor Ort.» Bislang lägen zu diesem Vorfall keine Anzeigen vor.
Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer, berichtete von zunehmendem Druck auf die Beamtinnen und Beamten bei Einsätzen rund um die Proteste. Derweil sorgt ein Vorfall in Stuttgart für Aufsehen, bei dem sich Aktivisten auf eine Straße gesetzt und so laut Polizei Rettungskräfte an der Weiterfahrt behindert haben.
Polizeiliche Einsätze bei Straftaten und Ordnungsverstößen der Letzten Generation nehmen Kusterer zufolge zu. «Dabei treten die Opfer der Letzten Generation, Tausende von Bürgerinnen und Bürger, leider immer mehr in den Hintergrund», erklärte der Gewerkschafter der Deutschen Presse-Agentur. Vielmehr scheine es um die Protestaktionen und deren Darstellung in der Öffentlichkeit zu gehen.
Das führe bei Bürgerinnen und Bürgern immer mehr zu Forderungen nach einem harten und konsequenten Vorgehen. «Die Bürgerinnen und Bürger erwarten vom Staat, dass er ihre persönliche Freizügigkeit garantiert», erläuterte Kusterer. Dazu gehörten die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs. Und natürlich gehöre zur Wahrheit, dass sich dieses Spannungsverhältnis auch auf die Polizei übertrage.
Die Einsatzkräfte beseitigten seit Wochen hochprofessionell die Störungen, wendeten sich tausendfach den Rechtsbrüchen zu und könnten dadurch andere Aufgaben nicht wahrnehmen, teilte Kusterer mit. Das geschehe aus Sicht der Gewerkschaft mit großer Gelassenheit. «Dabei hätte ich durchaus auch Verständnis dafür, wenn dem einen Kollegen oder der anderen mal die „Hutschnur“ reißt», so Kusterer. «Auch wenn es in unserem Rechtssystem dazu gehört, dass er oder sie sich dann dafür verantworten müsste.» Das gelte selbst dann, würde derjenige breite Zustimmung aus der genervten Bevölkerung erhalten.
Derzeit sorgt vor allem ein Fall aus Mannheim für Aufsehen, wo eine Polizistin einer festgeklebten Aktivistin Öl, das zum Lösen des Klebstoffs genutzt wird, über den Hinterkopf gegossen haben soll. Die Letzte Generation hatte Videos von dem Vorfall vom Samstag im Internet veröffentlicht und Vorwürfe auch mit Blick auf Leibesvisitationen im Polizeigewahrsam publik gemacht.
Druck aus der Bevölkerung rechtfertige ein wie in dem Zusammenhang geschildertes Vorgehen nicht, sagte die Landesbürgerbeauftragte Beate Böhlen dem Südwestrundfunk (SWR). «Und vor allem darf die Polizei, die das Machtmonopol im Staat hat, sich natürlich nicht vom Druck einer Bevölkerung zu irgendwelchen Maßnahmen hinreißen lassen, die ihrer Machtstellung entgegenstehen», sagte die Grünen-Politikerin.
Das Polizeipräsidium Mannheim prüft straf- und disziplinarrechtliche Folgen. Nach Auskunft eines Sprechers vom Donnerstag werde das voraussichtlich noch einige Tage dauern, weil alle beteiligten Aktivisten und Beamten ermittelt und gehört werden müssten. Anzeige gegen die Polizistin sei derweil bislang nicht erstattet worden.
Dass die Polizei nach der Aktion elf Menschen in Gewahrsam genommen hat, war nach Einschätzung des Strafrecht-Professors Matthias Jahn von der Goethe-Universität Frankfurt gerechtfertigt. «Voraussetzung ist, dass von dem Aktivisten eine Gefahr ausgeht oder ein Straftatverdacht besteht», erklärte er. In diesem Fall dürfte die Polizei den Anfangsverdacht einer Nötigung anderer Verkehrsteilnehmer gesehen haben, die die Brücke überqueren wollten.
Zwar sei die Brücke an dieser Stelle ziemlich breit und ermögliche Autofahrern sowohl ein Ausweichen auf einen parallel verlaufenden Fahrradweg als auch auf den Fahrweg der Straßenbahn. «Aber das ist mit Risiken verbunden, weshalb es der gängigen Rechtsprechung entspricht, die Möglichkeit einer Nötigung durch die Blockadeaktion der vier Aktivisten zu bejahen», erläuterte Jahn.
Bei dem Vorfall in Stuttgart hatten sich am Mittwochabend laut der Polizei neun Aktivisten auf eine Straße in der Nähe des Hauptbahnhofs gesetzt. Sie behinderten unter anderem ein Notarztfahrzeug und einen Rettungswagen, die mit Martinshorn und Blaulicht auf dem Weg in ein Krankenhaus waren. Weil die Aktivisten die Aufforderungen zum Verlassen ignorierten, trugen Beamte sie der Mitteilung zufolge weg.
Landesumweltministerin Thekla Walker bezeichnete die Methoden der Klimaaktivisten als kontraproduktiv. «Dieses Instrument der Blockade oder Nötigung, das angewendet wird, passt für mich nicht in die Zeit», sagte die Grünen-Politikerin der «Rhein-Neckar-Zeitung» (Freitag). Die Klimakrise sei allen bewusst. Man müsse keine Aufmerksamkeit mehr gewinnen, sondern «in die Umsetzung kommen».
Trotz der von den Störern selbst gewählten Materialien sei die Polizei bemüht, die Menschen beim Entfernen nicht zu verletzen, betonte Gewerkschaftschef Kusterer. «Ich glaube der Begriff „mit Samt-Handschuhen“ bezeichnet diesen Vorgang korrekt.» Aus seiner Sicht verletzen die Menschen «täglich die Menschenwürde der eingesetzten Polizeikräfte, die bei brütender Hitze fanatische Rechtsbrecher von der Straße holen müssen».
Eine Bewertung des Sachverhalts in Mannheim anhand des Videos sei schwierig, erklärte Kusterer. «Aus der Erfahrung wissen wir, dass solche Video-Sequenzen einer genaueren Überprüfung unterzogen werden müssen.» Die Vergangenheit habe gezeigt, dass es manchmal nicht so war, wie man es vermutet hatte. Es dürfte nach seiner Einschätzung aber wohl keine Straftat vorliegen. «Eines ist auf jeden Fall klar: Der Fall wird geprüft – und zwar in aller Gründlichkeit und in allen Details», sagte Kusterer. Sollte sich daraus ein ahndungswürdiger Vorwurf ergeben, werde man diesem innerhalb der Mannheimer Polizei konsequent nachgehen. «Darüber bin ich mir absolut sicher.» (dpa)