Mannheim. Die Musikexperten in Deutschland haben aus Sicht des Präsidenten der Musikhochschule Mannheim die eigenständige Musik der Ukraine nicht angemessen gewürdigt. «Vielen waren Unterschiede zwischen der ukrainischen und der russischen Kultur nicht bekannt, wir haben den großen Fehler begangen zu denken, alle diese ukrainischen Leistungen seien Teil der russischen Kultur», sagte Rudolf Meister der Deutschen Presse-Agentur. Während sich die Musiker in Russland teils bewusst, teils unbewusst von der europäischen Musiktradition distanziert hätten, habe sich die Ukraine über Jahrhunderte nach Westen orientiert. Klassische Musik genieße in der Ukraine ein höheres Prestige als in Deutschland. «Die Authentizität, mit der uns ukrainische Musikerinnen und Musiker ihre Kultur erleben lassen, ist sehr berührend», betonte der Professor für Klavier.
Alle deutschen Musikhochschulen haben zusätzlich zu ihrer vorgesehenen Kapazität ukrainische Musikerinnen und Musiker aufgenommen, zum Teil in Kooperation mit den Musikhochschulen in Kiew, Odessa und Charkiw. Die Zahl der vor allem weiblichen Musiker aus der Ukraine in Deutschland schätzt Meister auf gut 1000. Die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim hat 600 Studienplätze, davon werden 20 von Ukrainern belegt.
Zum Glück sei der internationale Austausch, die Beschäftigung mit den Musiktraditionen anderer Länder für Musikerinnen und Musiker selbstverständlich und unverzichtbar. Niemand würde es als «kulturelle Aneignung» ablehnen, wenn Deutsche ukrainische Musik spielen und umgekehrt.
Da der Krieg in der Ukraine sich in die Länge ziehe, sei damit zu rechnen, dass die Musiker, die derzeit an einer deutschen Hochschule studieren, nach einem Studienabschluss dem deutschen Arbeitsmarkt erhalten blieben. Für einen Abschluss müssten sie die Aufnahmeprüfung nachholen, die den Geflüchteten zunächst nicht abverlangt worden sei. Nachwuchsprobleme gebe es – anders als im Handwerk – nicht. Auf einen Studienplatz im künstlerischen Bereich kämen zehn Bewerber, darunter auch viele Ausländer.
Die Deutschen könnten von den Ukrainern viel lernen, meint Pianist Meister: Trotz der schrecklichen Erlebnisse im Krieg und der ständigen Angst um zurückgebliebene Freunde und Verwandte nähmen sie zuversichtlich ihr Leben in die Hand. «Wir Deutsche können uns abschauen, wie man auch in schweren Zeiten den Mut nicht verliert.» (dpa)