dpa/ Julia Giertz
Mannheim. Eine drohende Aufblähung des baden-württembergischen Landtags kann aus Sicht von Wissenschaftlern durch größere Wahlkreise ausgeglichen werden, ohne dass dabei Bürgernähe verloren geht. «Die Hypothese, dass eine Vergrößerung der Wahlkreise, sei es in der Fläche oder der Anzahl der Wahlberechtigten, zu negativen Konsequenzen führt, kann nicht bestätigt werden», resümierte Politikwissenschaftler Thomas Gschwend das Ergebnis einer Studie der Universität Mannheim.
Gefragt worden waren 2501 repräsentativ ausgewählte Baden-Württemberger aus großen und kleinen Wahlkreisen nach ihrem Empfinden von Bürgernähe. Hintergrund sind Befürchtungen, dass das neue Landtagswahlrecht die Zahl der Abgeordneten in die Höhe treibt.
Studienleiter Gschwend und sein Team vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) fragten nach der Zufriedenheit mit der Demokratie in Baden-Württemberg anhand einer Skala von null bis zehn. Eine Mehrheit ist demnach einverstanden mit der Ausgestaltung demokratischer Prozesse im Land. Nur vier Prozent stünden dem sehr negativ gegenüber.
Zudem sollten die Befragten Stellung beziehen zu der vorgegebenen Aussage «Politiker kümmern sich nicht darum, was Leute wie ich denken». Dabei zeigte sich, dass sich eine Mehrheit der Befragten von Politikern nicht ausreichend repräsentiert fühlt. 31 Prozent der Befragten finden sich den Angaben nach sehr unzureichend vertreten. Nur jeder Zehnte fühle sich von Politikern sehr gut repräsentiert. Bei den Antworten habe es keinen signifikanten Unterschied bezüglich der Größe der Wahlkreise gegeben, so die Forscher.
Hintergrund ist eine von der FDP erneut angestoßene Diskussion über die Einführung des Zwei-Stimmen-Landtagswahlrechts. Dieses habe Überhangs- und Ausgleichsmandate zur Folge, so dass der Landtag von derzeit 154 auf 200 Abgeordnete auszuufern drohe.
Als ein Mittel gegen diesen Zuwachs gelten größere Wahlkreise. Gegner dieser Lösung argumentierten, dass in größeren Wahlkreisen die Nähe der Abgeordneten zu den Bürgern abnehme, ohne einen Nachweis dafür zu erbringen, so Politikwissenschaftler Gschwend. «Unsere Umfrage zeigt, dass es nicht von der Größe eines Wahlkreises abhängt, ob Politik als bürgernah wahrgenommen wird.» Die Bürger in größeren Wahlkreisen seien derzeit nicht weniger zufrieden mit den Eliten und dem Zustand der Demokratie als solche in kleineren Landtagswahlkreisen.
Die Südwest-FDP hatte dem Innenministerium vor wenigen Tagen für die Zulassung eines Volksbegehrens 10 000 Unterschriften von wahlberechtigten Baden-Württembergern übergeben. Die Liberalen wollen einen «XXL-Landtag» durch eine Verringerung der Wahlkreise sowie der Direktmandate von 70 auf 38 verhindern. Das Begehren selbst erfordert die Unterschrift von mindestens einem Zehntel der baden-württembergischen Wahlberechtigten, das wären derzeit 770 000. Verweigert der Landtag einer Gesetzesnovelle die Zustimmung, findet eine Volksabstimmung statt.
Im Südwesten gibt es sowohl Wahlkreise mit sehr kleiner Fläche und vielen Wahlberechtigten als auch andersherum. Die Anzahl der Wahlberechtigten reicht von etwa 86 500 (Wahlkreis Freudenstadt) bis zum 1,5-Fachen (circa 130 000 im WK Böblingen). Das Spektrum der Fläche liegt zwischen 40 Quadratkilometern (WK Stuttgart I) und etwa 1304 Quadratkilometern (WK Main-Tauber), also dem mehr als 30-Fachen. Ein durchschnittlicher Wahlkreis, beispielsweise Neckarsulm, hat nach weiteren Angaben der Wissenschaftler etwa 110 000 Wahlberechtigte und 500 Quadratkilometer Fläche. (dpa/lsw)