Mannheim. Fast zwei Jahre lang wurde in Mannheim teils erbittert diskutiert, ob sich die Polizei bei einem tödlichen Einsatz in Mannheim nur verteidigt hat oder zu brutal gegen einen psychisch kranken Mann vorgegangen ist. Und auch bei der Urteilsverkündung vor dem Mannheimer Landgericht ging immer wieder ein Raunen durch den voll besetzten Saal. Denn die Kammer entschied: Das Vorgehen der beiden angeklagten Polizisten im Mai 2022 am Marktplatz war im Wesentlichen gerechtfertigt. Sie sprach am Freitag einen Beamten frei, sein Kollege wurde zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt.
Zwar wäre das psychisch kranke Opfer ohne den gewaltsamen Einsatz der beiden Polizisten nicht gestorben, sagte der Vorsitzende Richter. Der 47 Jahre alte Patient des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim (ZI) sei aus Sicht seines Arztes an jenem Tag aber in einem psychischen Ausnahmezustand gewesen. Der Mediziner habe die Polizei gerufen, weil er befürchtet habe, dass sich der Patient selbst gefährde. Die Polizisten seien nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet gewesen, den herzkranken Mann auch gegen seinen Willen in das ZI zurückzubringen. Polizeirechtlich gesehen habe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorgelegen. Auch hätten sich die Polizisten im Einsatz gegen Angriffe des späteren Opfers verteidigen dürfen.
Die 120 Tagessätze zu 50 Euro muss der Polizeioberkommissar allerdings wegen Körperverletzung im Amt zahlen. Er hatte dem Mann bei dem Einsatz Pfefferspray in sein Gesicht gesprüht und ihn mehrere Male mit der Faust geschlagen. Das Pfefferspray sei berechtigterweise gezogen worden, weil der Beamte nicht habe ausweichen können und sich habe wehren dürfen. Die Schläge seien aber «keine gebotene Verteidigungshandlung» gewesen.
Der Beamte war eigentlich wegen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge angeklagt, der gleichaltrige Polizeihauptmeister wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen. Vor allem mit Verweis auf die rechtsmedizinischen Gutachten hatte die Staatsanwaltschaft überraschend milde plädiert. Sie forderte für den Polizeioberkommissar eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung, für den Mitangeklagten einen Freispruch. Den Vorwurf der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen hielt die Anklage für nicht mehr gerechtfertigt.
Die Verteidigung hatte Freisprüche beantragt. «Es war uns wichtig zu beweisen, dass der ursprüngliche Anklagevorwurf unzulässig war», sagte die Anwältin des Hauptangeklagten. Das Gericht habe deutlich gemacht, dass das Verhalten ihres Mandanten nichts mit dem Tod des 47-Jährigen zu tun gehabt habe.
Das psychisch kranke Opfer litt an einer paranoiden Schizophrenie, hatte immer wieder Wahnvorstellungen und halluzinierte. Lückenlos sind Kontrolle und Verhalten auf Videoaufnahmen dokumentiert. Vor allem in den sozialen Medien waren die Clips und Aufzeichnungen von Überwachungskameras unzählige Male geteilt worden. Nach der Kontrolle war der Mann im Krankenhaus gestorben, einem Gutachten der Verteidigung zufolge durch einen Herzstillstand nach einem Kreislaufversagen.
Mit dem Urteil können die beiden 27-Jährigen im Dienst verbleiben. Die Disziplinarverfahren gegen die Polizeibeamten werden nach Angaben des Mannheimer Polizeipräsidiums (PP) aber weitergeführt. «Es handelt sich beim Disziplinarverfahren um ein unabhängiges Verfahren, bei welchem die für Beamtinnen und Beamten geltenden Regelungen und Pflichten betrachtet werden», teilte das PP mit. Es würden zunächst die justiziellen Akten analysiert und danach die weiteren für die Polizei gültigen Regelungen geprüft. «Die tatsächlichen Feststellungen des Urteils sind im Disziplinarverfahren bindend und werden mitaufgenommen», hieß es weiter.
Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht. Die Nebenkläger kündigten unmittelbar nach Ende der Verhandlung an, Revision beim Bundesgerichtshof einzulegen. «Im Gerichtsprozess ist er ein weiteres Mal gestorben», sagte einer der beiden Anwälte der Angehörigen. Der Mann sei ein ängstlicher, verwirrter Mensch gewesen, der versucht habe, sich einer für ihn bedrohlichen und unerklärlichen Situation zu entziehen und dem später nicht geholfen worden sei. «Das Urteil ist eine Diskriminierung von psychisch kranken Menschen», sagte der Anwalt weiter.
Die Nebenklage hatte trotz des Gutachtens an den ursprünglichen Vorwürfen festgehalten und Haftstrafen zwischen einem Jahr auf Bewährung und drei Jahren und zwei Monaten für beide Angeklagten gefordert.
Der Mannheimer Fall reicht deutlich über die juristische Betrachtung hinaus. Politisch diskutiert wurde nach dem Einsatz unter anderem, ob die Polizei in der Lage ist, angemessen mit psychisch kranken oder angeschlagenen Menschen umzugehen. Die folgenschwere Kontrolle löste zudem eine öffentliche Debatte über Polizeigewalt aus, die Initiative «2. Mai 2022» wurde gegründet und ein Gedenkzug organisiert. Im baden-württembergischen Landtag musste sich Innenminister Thomas Strobl (CDU) kritischen Fragen der Opposition stellen. (dpa)