Das kreisrunde Loch des schräg in die Erde gegrabenen Tunnels am Rand eines abgemähten Gerstenfelds in Mainz führt zum Bau eines Feldhamsters. Zu sehen ist das vom Aussterben bedrohte Tier aber nicht. «Hamster sind in der Regel dämmerungs- und nachtaktiv und meist wagen sich nur unerfahrene, junge Tiere tagsüber mal raus», sagt Janina Langner vom Feldhamsterlandprojekt, das in Rheinland-Pfalz von der Stiftung Natur und Umwelt getragen wird. Insgesamt machen bei dem vom Bundesamt für Naturschutz geförderten Verbundprojekt fünf Bundesländer mit. Nach fünf Jahren läuft die Förderung jetzt aber aus und geht in die Regie der Länder über.
Mit ganz unterschiedlichen Ergebnissen und Ausgangslagen, wie der an dem Projekt beteiligte Naturschutzgenetiker Tobias Erik Reiners vom Senckenberg Forschungsinstitut sagt. Ein Problem sei aber in allen Bundesländern gleich: «Der Faktor Zeit.» Denn: «Die Prozesse zum Schutz der Hamster dauern alle viel zu lange – und das Aussterben geht weiter.»
Blühstreifen, Luzerne, Ernteverzicht, eine spätere Getreide-Mahd oder die sogenannte Ährenernte mit hochgestelltem Mähwerk, damit die Halme stehen bleiben: So bieten Landwirte dem Beutetier Deckung vor natürlichen Feinden wie Greifvögeln, Füchsen oder Katzen. «Wenn nach einer Ernte die Deckung weg ist, sterben bis zu 90 Prozent der Hamster», sagt Reiners. Er spricht von einem regelrechten «Wettrennen gegen die Erntezeit». Jeder Tag verschaffe den jungen Beutetieren beim Aufwachsen etwas Luft. Bei den Schutzaktivitäten der Bauern geht es auch um Nahrung für die Tiere. «Jetzt ist die Zeit des Hamsterns», sagt Langner. Und die fällt genau mit der Ernte zusammen. Mindestens zwei Kilo Getreide brauchten die Nager aber, um über die Winterzeit zu kommen.
«Die Populationen werden immer kleiner», bericht die Umweltwissenschaftlerin. Dabei gab es in allen fünf Bundesländern früher sehr viele Feldhamster. «In der Nachkriegszeit waren sie sogar eine richtige Plage und wurden gejagt, weil die Menschen ihre Ernte schützen wollten», erinnert Langner. «Auch bei uns geht der Bestand drastisch zurück», berichtet Saskia Jerosch von der Deutschen Wildtier Stiftung in Sachsen-Anhalt, die bei dem Projekt mitgemacht hat. «Zusammen mit Thüringen und Niedersachsen bilden wir die zentrale mitteldeutsche Population.»
Dennoch stellt Hamsterfachmann Reiners fest: «Um Thüringen und Sachsen-Anhalt mache ich mir die größten Sorgen.» Unterm Strich seien in den beiden Bundesländern viel, viel mehr Feldhamster verloren gegangen als in andern Ländern, allerdings gab es auch mehr. Die Hamsterplage habe in Thüringen viel länger gedauert als anderswo, die Tiere seien noch bis in die 1980er Jahre bekämpft worden. In Hessen habe dagegen damals schon in den 90er Jahren der Feldhamsterschutz begonnen, es gebe inzwischen eine Landesstelle dafür und die Bestände entwickelten sich positiv, zumindest da, wo die Schützer aktiv seien. Allerdings werde das Bundesland voraussichtlich auch 2023 eine Population verlieren.
Mit Feldhamsterland sollten die noch verbleibenden rund 25 Zentimeter großen Nager-Populationen erfasst und die Schutzmaßnahmen für ihre Vermehrung gefördert werden. Die Zusammenarbeit von Landwirtschaft und Naturschutz sei dabei der beste Weg, sagt Reiners. Diese Kooperation sei in Rheinland-Pfalz richtig gut, schwärmt Langner. «Viele Landwirte haben als Kinder Hamster für die Pelzproduktion gejagt, heute sehen sie dass es kaum noch Feldhamster gibt und wollen mit ihrer Arbeit helfen, die Art vor dem Aussterben zu bewahren.» Für die Schutzmaßnahmen bekommen die Bauern eine Entschädigung.
In Thüringen und Sachsen-Anhalt aber gebe es noch immer schwere Konflikte zwischen Landwirtschaft und Naturschutz, berichtet Reiners. Für gezielte Schutzmaßnahmen zum Erhalt der Hamster fehlten auch noch immer Daten. Die Kartierungen, bei denen Naturschützer und Ehrenamtliche die Felder ablaufen, sind aufwendig. «Die Förderkulisse ist viel zu groß» und sei zu wenig zielgerichtet auf die erfassten Vorkommen abgestimmt. Hoffnungsvoll stimme ihn aber ein neues Projekt in Thüringen, bei dem es um den Rebhuhn- und damit auch den Hamsterschutz gehe. «In Niedersachsen gibt es jetzt ein sehr gutes Verbreitungsbild», bilanziert Reiners. Und auch einige, die sich nun hauptberuflich um den Hamsterschutz kümmerten.
«Die Projektziele, Landwirtschaft und Naturschutz zusammenzubringen, ein Feldhamster-Kataster anzulegen und die Zusammenarbeit mit dem Ehrenamt zu stärken», seien in Rheinland-Pfalz ein sehr gutes Stück voran gekommen, bilanziert Langner. Sie schätzt die Zahl der «strengen Einzelgänger» in dem Bundesland noch auf einen «niedrigen dreistelligen Bereich». Bei den Kartierungsstreifzügen seien in diesem Frühjahr rund 200 Baue gefunden worden, davon 184 im Mainzer Stadtteil Ebersheim, dem «Hotspot-Gebiet» des Bundeslands.
«In Rheinland-Pfalz gab es vor Feldhamsterland gar nichts», sagt Reiners. Jetzt sei es ein «Vorbild», «allerdings kommt das Engagement wahrscheinlich fünf bis sechs Jahre zu spät». In Worms etwa könne der Bestand dieses Jahr weg sein.
«Für eine tragfähige Population sind wohl drei Feldhamster pro Hektar notwendig, hier ist es etwas über einer pro Hektar», berichtet Langner. «Die Tierart breitet sich eher langsam aus.» Die Wildtiere bewegten sich nicht weit von ihrem Bau weg und vermischten sich daher auch nicht so schnell mit anderen Populationen. Daher müssten die Schutzmaßnahmen intensiviert, Bestände geschützt und der Cricetus cricetus – so der lateinische Name – auch gezüchtet werden.
«Initiativen zur Zucht und Wiederansiedlung sind um ein vielfaches teurer», sagt Reiners. «Aber es wird ohne sie nicht gehen.» Im Raum Mainz und anderen isolierten Vorkommen komme es wegen der niedrigen Zahl der Tiere zu Inzuchtpaarungen und dem Verlust genetischer Vielfalt. In Hessen gebe es eine neue Erhaltungszucht der Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz und im Opel-Zoo würden die Wildtiere schon länger gezüchtet.
Die erste Erhaltungszucht in Deutschland gibt es seit 2004 im Zoo Heidelberg, wie Projektleiter Ulrich Weinhold sagt. Etwa 250 Tiere würden jedes Jahr gezüchtet und davon 200 wieder angesiedelt. Die Wiederansiedlung sei aber ein Thema auf der Langstrecke und müsse auch wissenschaftlich begleitet werden. Auch dabei dränge die Zeit. In Regionen, in denen sich die Bevölkerung noch an Feldhamster erinnern könne, «haben die Menschen gleich einen ganz anderen Bezug dazu. Sonst ist das ein komplett abstraktes Thema.» (dpa/lrs)