Es wäre wohl die erste Straße mit diesem Namen in Deutschland – und ein starkes Zeichen für Völkerverständigung in Kriegszeiten. Erhält Ludwigshafen eine Michail-Gorbatschow-Straße? In der zweitgrößten Stadt in Rheinland-Pfalz diskutieren die Parteien über eine Ehrung für den gestorbenen Friedensnobelpreisträger.
Eleonore Hefner ist dafür. Für die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Stadtratsfraktion war die Reformpolitik des damaligen Kremlchefs die Voraussetzung für das Ende des Kalten Krieges. «Gorbatschows Name steht auch für eine historische atomare Abrüstung», betont Hefner. Favorit für die Ehrung ist für sie eine geplante neue Brücke.
Das passe, meint Hefners Grünen-Kollege Hans-Uwe Daumann: «In Ludwigshafen ist es Tradition, politischen Brückenbauern wie Konrad Adenauer, Kurt Schumacher und Theodor Heuss Brücken zu widmen.»
Gorbatschows Platz in Ludwigshafen ist noch unklar. Seinen Platz in der Geschichte hatte er sich Ende der 1980er Jahre gesichert. Mit seiner Politik von Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung) schuf «Gorbi», wie er in Deutschland oft genannt wurde, unter anderem die Voraussetzung für den Fall der Berliner Mauer 1989, der sich am Mittwoch (9. November) erneut jährt.
Auch für CDU-Stadtratsfraktionschef Peter Uebel wäre eine Würdigung in Ludwigshafen ein starkes Zeichen. Er plädiert jedoch dafür, dass Historiker der Stadt zunächst Gorbatschows Wirken aufarbeiten sollten. Und er stellt einen Punkt zur Diskussion, der in Ludwigshafen oft zu hören ist: Warum würdigt man nicht auch den Anteil der USA an der Wiedervereinigung?
«Gorbatschow alleine würde dem historischen Ablauf nicht gerecht werden», betont Uebel. «Es ist sicher auch der 2018 gestorbene US-Präsident George Bush senior zu nennen, ohne den die Einheit nicht möglich gewesen wäre.» Bush, Gorbatschow und Helmut Kohl würden stets zusammen als «Väter der Einheit» geehrt. «Einen Änderungsantrag hierzu werden wir in den entsprechenden Sitzungen stellen.»
Die Diskussion geht zurück auf die Freie Wählergruppe (FWG) im Ludwigshafener Stadtrat. Sie hatte beantragt, dass die Verwaltung die Benennung prüfen soll. Gorbatschows «besonnene Art und der vorurteilsfreie Blick» habe die Geschichte nachhaltig verändert, heißt es in dem Antrag an den Bau- und Grundstücksausschuss, der das Thema unlängst an die Straßen-Benennungskommission der Stadt verwies.
Baudezernent Alexander Thewalt spricht von einem «sympathischen Vorschlag», gerade nach der jüngsten Benennung einer Straße nach Helmut Kohl – der zusammen mit Gorbatschow viel erreicht habe.
Thewalt verbindet Gorbatschow mit einem «unfassbar positiven Aufbruch». «Die Bedrohung, in der wir aufwuchsen, ging zu Ende, der sehr positiv besetzte Begriff vom Ende der Geschichte kam auf, die Staaten Mitteleuropas wurden frei», erinnert der Beigeordnete. Doch dann sei vieles kaputt gegangen – auch, weil das System der Sowjetunion nicht in eine starke Demokratie geführt werden konnte.
Mit einem baldigen Votum ist in Ludwigshafen indes nicht zu rechnen. «Wir sollten uns Zeit nehmen, eine richtige Entscheidung zu treffen», sagt Raik Dreher, Vorsitzender der Stadtratsfraktion Grünes Forum und Piraten. «Der Vorschlag, eine neue Brücke nach Gorbatschow zu benennen, hat Charme und knüpft an sein Lebenswerk an, nämlich im übertragenen Sinne Brücken zu bauen und verschiedene Lager zu einen.»
Das Bauwerk werde aber wohl erst in einigen Jahren entstehen. «Sicher wird es noch andere Möglichkeiten geben, eine neue Straße, die Gorbatschow gerecht wird, diesen Namen zu verleihen», meint Dreher.
Auch Hans-Uwe Daumann von den Grünen will zunächst eine Bewertung von Gorbatschows Politik. «Auch seine Fehlleistungen sollten einfließen: der „Blutsonntag von Vilnius“ etwa und seine Verteidigung der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland», meint er.
Ludwigshafen ist indes nicht die einzige Stadt, die eine solche Ehrung plant. Gorbatschows Tod Ende August löste gleichermaßen eine «Würdigungswelle» aus, so denken auch etwa Berlin und Dresden über eine Straße oder einen Platz für den 1931 geborenen Politiker nach.
In Ludwigshafen stehe zur Diskussion, dass sich die geplante Brücke an die Helmut-Kohl-Allee anschließe, sagt Uebel. «Das ist sicher eine gute Ausgangsidee.» Ähnlich sieht es Eleonore Hefner von der SPD. «Es liegt nahe, dass man sie zur Helmut-Kohl-Allee fügt», sagt die kulturpolitische Sprecherin. «Wir begrüßen, wenn in den Straßennamen der Stadt auch nicht-deutsche Menschen geehrt werden, die sich für Menschenrechte und Frieden verdient gemacht haben.»