Von Wolfgang Jung, dpa
An einen Tag als Schüler kann sich der rheinland-pfälzische «Lehrer des Jahres» besonders gut erinnern. «Einmal kam ein kreativer Lehrer als Napoleon verkleidet in den Unterricht und plante mit uns schauspielerisch den Russlandfeldzug», erzählt Holger Kellmeyer. Historisches Wissen auf diese Art erlebbar zu gestalten, habe ihn sehr beeindruckt. «Ich weiß bis heute, woran Napoleon gescheitert ist. Weil ich das Gefühl hatte, dabei gewesen zu sein. Wenn ein Schüler wirklich lernen soll, muss er dabei sein.»
Kellmeyer ist Pädagoge für Deutsch, Philosophie und Ethik am Carl-Bosch-Gymnasium Ludwigshafen. Die Napoleon-Anekdote hat er nie vergessen. Mehr noch: Sie war für ihn Inspiration, den eigenen Unterricht abwechslungsreich zu gestalten. Experimentierfreude statt trockene Theorie. Wie gut das bei Schülerinnen und Schülern ankommt, zeigt der jüngste Wettbewerb «Deutscher Lehrerpreis – Unterricht innovativ 2020»: Kellmeyer wurde als einer von bundesweit zehn Preisträgern in der Kategorie «Ausgezeichnete Lehrkräfte» geehrt.
So heißt die Auszeichnung offiziell. Seit 2020 tragen der Deutsche Philologenverband und die Heraeus Bildungsstiftung den Wettbewerb aus. Nach Meinung seiner Schülerinnen und Schüler ist Kellmeyer «hoch motiviert, herzlich, diskussionsfreudig und hilfsbereit», verfügt über ein «ausgeprägtes Fach- und Allgemeinwissen» und gestaltet kreativen Unterricht. «Wir wussten relativ schnell, dass wir einen Sechser im Lotto bekamen», wird ein Schüler in der Laudation zitiert.
Kellmeyer hat selbst drei Kinder, davon bald zwei in der Schule. Die Nachricht von der Auszeichnung konnte er zunächst kaum glauben. «Es war ein sehr surreales Gefühl.» Erst später schwappten Stolz und Aufregung seiner Schülerinnen und Schüler auf ihn über. «Was da vor mir lag, war ein helles Licht in diesen oft dunklen Pandemiezeiten.»
Seine Frau habe die Urkunde in seinem Büro gut sichtbar aufgehängt. «Denn wenn ich je wieder vom Alltagsfrust zum Selbstzweifel komme, soll mir ein Blick darauf den Kopf wieder zurechtrücken», erzählt er.
In der Schule ist man stolz über die Ehrung. «Natürlich ist diese Auszeichnung auch ein ganz besonderes Ereignis für die Schulgemeinschaft des Carl-Bosch-Gymnasiums», sagt Schulleiter Ulf Boeckmann. Die öffentliche Anerkennung sei gerade in Pandemiezeiten «Balsam für die Seele». Als entscheidenden Faktor für das Gelingen von Unterricht sehe er das gegenseitige Vertrauen und Zutrauen zwischen Lehrern und Schülern an. «Dies ist auch der Schlüssel für den Unterrichtserfolg von Herrn Kellmeyer», meint der Oberstudienrat.
Hinter Kellmeyer liegt ein kompliziertes Schuljahr. Die Pandemie diktierte auch in der zweitgrößten Stadt in Rheinland-Pfalz oft den Lehrplan. «Corona ist ein Brennglas, unter dem sich allgemeine bildungspolitische und gesellschaftliche Probleme, die sich schon vorher etabliert hatten, mit Vehemenz ans Tageslicht drängten», meint der 39-Jährige. Das Carl-Bosch-Gymnasium sei zum Glück bereits auf den Zug der Digitalisierung aufgesprungen und verfüge über ein Kollegium, «das sich in der Krise selbstbewusst in den Wind stellte».
Doch die Pandemie habe alle viel gelehrt, sagt Kellmeyer. «Wir haben uns alle neu erfinden und Unterricht neu denken müssen.» Kritiker hätten das Potenzial der neuen Medien am eigenen Leib erfahren, aber Anhänger des Digitalen hätten auch deren Grenzen erleben müssen. «Es fehlt auch das Zwischenmenschliche. Über ein Video kann ich ein verzweifeltes Kind nicht trösten, und die Diskussionskultur verändert sich, sobald ein Mikrofon zwischen den Diskutanten steht.»
Für den Lehrerpreis hat Kellmeyer zahlreiche Glückwünsche erhalten – unter anderem von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). Die Nominierung durch die eigene Schülerschaft zeige die ausgezeichnete Beziehung zwischen Lehrer und Schülerinnen und Schülern, meinte sie.
Mit einem Startgeld von zehn Millionen Euro will die Landesregierung das Projekt «Schule der Zukunft» auf den Weg bringen, wie Dreyer Mitte Juni mitteilte. Dieser Fonds soll Schulen unterstützen, «die sich aufmachen möchten, neue Wege zu erproben». Die Konzepte für mehr gemeinschaftliches Lernen sollen in einem breiten Beteiligungsprozess mit jenen entwickelt werden, die den Schulalltag genau kennen.
Und wie sieht Kellmeyers Schulalltag aus? Der Pädagoge kommt zwar nicht als Napoleon zum Unterricht, ist aber fest überzeugt, dass da ein «Funke» zwischen Lehrer und Klasse sein sollte. «Nur wenn ich für mein Fach brenne, kann es diesen Funken überhaupt geben.»