Fränkisch, Alemannisch, Kurpfälzisch – und natürlich Schwäbisch. Der Südwesten ist reich an Dialekten. Doch sie drohen auszusterben. Dagegen kämpfen Politiker und Heimatpfleger an.
Von Corinna Kruse, dpa
Hockenheim. Kaum ein Bundesland kann mit der Bandbreite an Dialekten in Baden-Württemberg mithalten. So klingt es nach Süden zunehmend alemannisch, nach Norden süd- und rheinfränkisch, kurpfälzisch in der Rhein-Neckar-Region und schwäbisch mit allen seinen Varianten.
Mundartwörter wie Zuckerbrötle, Brötle, Busserle und Gutsele beschreiben Weihnachtsgebäck. «Es ist wie eine verborgene Landkarte, aber die Prägungen vermischen sich und lassen zusehends nach», sagt Mundart-Lyriker und Autor Thomas Liebscher.
Dennoch scheinen immer weniger Menschen einen Dialekt zu sprechen, stellen Sprachwissenschaftler in Deutschland vermehrt fest. Dabei geht es weniger um die Benutzung einzelner Worte, sondern die eigene, besondere Form der deutschen Sprache. In den ersten beiden Grundschulklassen sprechen laut dem Ludwig-Uhland-Institut der Uni Tübingen nur noch zwischen 11 und 15,3 Prozent einen Dialekt.
Thomas Liebscher bleibt jedoch optimistisch: «Der Dialekt ist vorhanden, bei vielen Menschen und in vielen Nischen, aber unter dem Radar», stellt er fest. Für sein Engagement als Botschafter für Mundart in Nord- und Mittelbaden ist er mit der Heimatmedaille 2023 ausgezeichnet worden. Die Ehrung verleiht der Landesausschuss für Heimatpflege regelmäßig an Bürgerinnen und Bürger, die sich in Baden-Württemberg besonders verdient gemacht haben.
Als Student schrieb Liebscher sein erstes Dialektgedicht «Herbschd», eine Parodie auf Rainer Maria Rilke. Dabei verharrte er nicht in den weichen Worten des Originals, sondern transportierte das Werk in die Moderne zwischen Kernkraft, Zuckerrüben und Baggersee.
Heute blickt der 62-Jährige aus Hockenheim (Rhein-Neckar-Kreis) auf rund 250 Lesungen und acht veröffentlichte Bücher zurück. Im Rundfunk begeisterte der Journalist mit regelmäßigen Gedichtsbeiträgen und veröffentlichte Kolumnen mit Mundartbetrachtungen «Badisch von owwe un unne». Seit 2017 ist Liebscher Jury-Vorsitzender bei «De gnitze Griffel». Alle zwei Jahre schreibt der Arbeitskreis Heimatpflege im Regierungsbezirk Karlsruhe den literarischen Mundartwettbewerb aus.
Für Liebscher ist Dialekt nicht nur Alltagssprache, sondern ein kulturhistorisches Juwel, Symbol für Vielfalt. Wissenschaftler dokumentieren und erforschen Mundart, was als Nebeneffekt den Sprechenden eine gewisse Wertschätzung entgegenbringt. «Im Land gibt es aber nur an den Unis Tübingen und Freiburg Spezialisten, Heidelberg sollte da wieder dabei sein», findet Liebscher.
Dass er mit dieser Meinung nicht alleinsteht, zeigen Bestrebungen im Landtag von Baden-Württemberg. 2019 starteten mehr als 50 Abgeordnete eine parteiübergreifende Initiative zur Förderung des Dialektes, bevor das identitätsbildende Kulturgut verschwindet. Ende 2021 wurde dazu eine Präambel formuliert. In dieser wird deutlich, dass mit der Mehrsprachigkeit von Dialekt und Standardsprache der Abwertung von Dialektsprechern entgegengewirkt werden kann. Zudem fördere das Beherrschen eines Dialektes ein besseres Sprachverständnis.
Im Sommer 2023 wurde aus dem Engagement der Landtagsabgeordneten der Dachverband der Dialekte Baden-Württemberg (DDDBW) gegründet. Vorsitzender ist der Waldshuter Landrat Martin Kistler (parteilos). Der Verband sieht sich als Bindeglied zwischen den existierenden Vereinigungen, Gemeinschaften und Institutionen von Dialekt und Mundart. Jährlich 78 000 Euro Fördergelder sind vom Land bewilligt.
Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Sprachvarietäten wurde auch im Bildungsplan 2016 der Gymnasien verankert. Im Bereich der inhaltsbezogenen Kompetenzen wird der Dialekt im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Sprache und Identität mehrfach genannt und eine unterrichtliche Auseinandersetzung mit ihm eingefordert. «Die Schülerinnen und Schüler lernen Dialekte in der Familie, nicht in der Schule, und pflegen sie eher im privaten als im schulischen Bereich», sagt der Rektor des Bammentaler Gymnasiums, Benedikt Mancini.
Ein vom Arbeitskreis für Heimatpflege organisierter Poetry Slam aber musste dieses Jahr mangels Beteiligung abgesagt werden. Ein möglicher Grund: das Alter. Die Literaturwettbewerbe erfreuen sich prinzipiell bei jüngeren Generationen großer Beliebtheit. Sich literarisch mit Dialekt zu befassen, ist dagegen eher in älteren Jahrgängen von Interesse.
Hier setzt auch die Idee eines mit 50 000 Euro dotierten Dialektpreises von verschiedenen Sparten mit der Zielgruppe jüngerer Menschen an, die der Dachverband plant. Das erklärte Ziel ist dabei, Dialekt in allen sozialen Schichten zu fördern. Jüngere sollen besonders über die sozialen Medien für Dialekte begeistert werden.
Für die Förderung der ehrenamtlichen Heimat- und Kulturpflege standen im Haushalt 2022 und 2023 des Landes jeweils 571 500 Euro zur Verfügung. Zu den begünstigten Verbänden und Vereinen gehören solche, die sich der Mundart widmen. Auch im Bereich des Amateurtheaters, für den in den beiden Jahren je 796 300 Euro zur Verfügung standen, werden regelmäßig Mundartbühnen und Mundartstücke gefördert.
Für Thomas Liebscher ist Heimat dort, wo er die Schleich- und Umwege kennt. Diese Heimat müsse erhalten bleiben und die darin bestehenden Traditionen für die Zukunft müssten gesichert werden. Dazu gehöre auch, Mundart zu pflegen und zu leben. «Un des bassiert nadierlich in erschder Linie, in dem ma sie schwätze dud.» (dpa/lsw)