Es wundert nicht: Hessens Ministerpräsident Boris Rhein zeigt sich am Sonntagabend nach dem Wahlsieg seiner Partei bestens gelaunt. Bei seinem Auftritt auf der CDU-Wahlparty im Landtag in Wiesbaden wird er von Parteikollegen und Anhängern frenetisch mit «Boris, Boris»-Rufen gefeiert. Als deutlicher Wahlsieger hat der 51-Jährige nun für die Suche nach einem Koalitionspartner eine hervorragende Ausgangslage. Wird es in Hessen eine dritte Auflage von Schwarz-Grün geben? Oder finden sich doch CDU und SPD zusammen?
Bei der Frage nach möglichen künftigen Koalitionen erklärte Rhein im Wahlkampf regelmäßig, wie gut das schwarz-grüne Regierungsbündnis zusammenarbeite. Aber er flirtete parallel auch mit den Sozialdemokraten – die hätten als Volkspartei «ähnliche Erfahrungswelten» wie die CDU, bekräftigte Rhein.
Die CDU werde denjenigen bevorzugen, mit dem sie die meisten ihrer Kernpunkte verwirklichen könne, betont der Regierungschef stets. Im Umkehrschluss kann dies heißen, dass es auf die Kompromissbereitschaft des Partners ankommt. Und nicht zuletzt geht es um die Frage, wie viele Ministerposten der Juniorpartner einer neuen Landesregierung für sich beansprucht.
Rhein gilt nicht als ausgewiesener Freund der Grünen – er schmiedete das amtierende Bündnis nicht selbst, sondern erbte es von seinem Vorgänger Volker Bouffier bei der Amtsübergabe Ende Mai 2022. So hofft der CDU-Landeschef in einem Bündnis mit der SPD vielleicht auf größere Zugeständnisse der Sozialdemokraten, die letztmals vor knapp 25 Jahren an einer Regierung in Hessen beteiligt waren.
So oder so steht personell im Kabinett ein größerer Umbruch an, selbst wenn CDU und Grüne wieder zusammenfinden sollten, denn gleich vier Ministerinnen und Minister der bisherigen Landesregierung haben unabhängig vom Ausgang der Wahl angekündigt, ihr Amt abzugeben.
Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) regiert nach eigenen Worten seit 2014 mit der CDU «in einer Koalition, die ich mir vorher selbst nicht wirklich vorstellen konnte». Aber das Bündnis verstand es, Streitpunkte hinter verschlossenen Türen zu klären und agierte zumindest nach außen bei den meisten Themen als Einheit. Offene Dissonanzen gab es aber beispielsweise, als CDU-Minister die Speicherung von IP-Adressen forderten. Die Grünen konterten daraufhin, die Minister sprächen nicht für die Koalition und somit nicht für die Landesregierung.
Die rechtspopulistisch AfD geht deutlich gestärkt in ihre zweite Legislaturperiode im hessischen Landtag – trotz interner Querelen. In den zurückliegenden fünf Jahren verlor die Fraktion 5 ihrer zunächst 19 Mitglieder – durch Austritte und Ausschlüsse. Die AfD wird in der Landtagsopposition bleiben, alle anderen Fraktionen lehnen eine Zusammenarbeit klar ab. Die FDP musste am Wahlabend zunächst um den Wiedereinzug bangen. Und die Linksfraktion fliegt in Hessen nach 15 Jahren vermutlich aus dem Landesparlament.
Der Wahlkampf hatte in Hessen erst Anfang September nach dem Ende der Sommerpause an Fahrt aufgenommen, oft ging es um bundespolitische Themen wie die Begrenzung der Migration. Die Spitzenkandidaten von CDU, SPD und Grünen gingen überwiegend pfleglich miteinander um – womöglich auch mit Blick auf künftige Koalitionsverhandlungen. Persönliche Verletzungen blieben aus.
SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser zeigte sich bei der SPD-Wahlparty vom Ergebnis ihrer Partei sehr enttäuscht. Als Grund für das schlechte Abschneiden nannte die 53-Jährige, dass sie mit landespolitischen Themen wie etwa Bildung im Wahlkampf nicht durchgedrungen sei.
Faeser hatte beim politschen Gegner unter der Dauerkritik gestanden, ihr Amt im Bundeskabinett lasse sich nicht mit Wahlkampf vereinen. Auch ihre Aussage, nur als Regierungschefin nach Hessen zurückzukehren, wurde von den Mitbewerbern moniert. Faeser verwies auf andere Kandidaten für Spitzenämter, die sich ebenfalls aus einem Amt heraus beworben hätten und sie betonte stets: «Mein Herz ist in Hessen.»
Für Irritationen sorgte wenige Tage vor der Wahl ein SPD-Wahlkampf-Video, das eine Zusammenarbeit von CDU und AfD als möglich darstellte. Die Sozialdemokraten löschten den Clip und entschuldigten sich. Und die Hessen-SPD hatte noch mit einer weiteren Panne zu kämpfen: Sie musste in ihrem Wahlprogramm einen Vorschlag korrigieren, ab wann Nicht-EU-Ausländer bei kommunalen Wahlen mitabstimmen dürfen sollten. In dem Papier war wegen eines Übertragungsfehlers eine Aufenthaltsdauer von sechs Monaten statt von sechs Jahren genannt worden.
Faeser geriet im Wahlkampf zudem unter Druck, als sie eine Affäre um die Entlassung eines Behördenleiters einholte. Die Causa wurde Thema im Innenausschuss des Bundestages. Als Faeser dort zu einem Termin nicht erschien, wurde ihr vorgeworfen, sich vor kritischen Fragen drücken zu wollen. Erst später beantwortete sie dann Fragen in dem Ausschuss.
Die ersten Sondierungsgespräche in Wiesbaden starten voraussichtlich schon in den kommenden Tagen. Klar ist, dass der Auftrag zur Regierungsbildung bei der CDU liegt – ob die SPD über das Stadium von Sondierungsgesprächen mit der Union hinaus kommt oder ob die CDU doch mit den Grünen weitermachen will, bleibt abzuwarten. (dpa)