Heidelberg. Kraftvoll schallen die Klänge des Lieds «Shake it off» von Taylor Swift durch die evangelische Heiliggeistkirche in Heidelberg. Sängerin Tine Wiechmann steht vorne am Mikrofon, die Bandmitglieder begleiten sie an Piano, Bass und Drums. Daneben klatscht Pfarrer Vincenzo Petracca am Rednerpult begeistert mit. Die Besucher wippen und tanzen auf ihren Plätzen, so mancher singt den Welthit der 34-Jährigen textsicher mit.
Rund 1200 Menschen aus allen Altersgruppen besuchen am Sonntag zwei Pop-Gottesdienste mit Live-Musik von Taylor Swift. Die Sitze sind in der alten gotischen Kirche fast alle belegt. Vor dem Eingang hat sich im Vorfeld sogar eine Schlange gebildet. Teil des Programms sind sechs Stücke der Amerikanerin, die in ihrer Musik schon ihre christlichen Wurzeln thematisiert hat – und auch mit politischen Äußerungen die Massen bewegt.
Alle Karten reserviert
Der Eintritt ist zwar frei, wegen der großen Nachfrage mussten sich die Besucher im Vorfeld allerdings Tickets buchen. Nach Angaben der Kirche gingen die ersten Reservierungen von Eltern ein, deren Kinder die Gottesdienste mit der Familie besuchen wollten. Die beiden Gottesdienste mit dem Titel «Anti Hero» nach dem Song «Anti-Hero» von Swift sind Teil einer Reihe mit Pop-Gottesdiensten und waren ausgebucht.
«Ich finde es super, dass die Kirche so auch jüngere Menschen anspricht», erklärt die 17-jährige Solvej Biederstädt. Sie ist ein großer Swift-Fan und mit ihrer Schwester Lina zum Gottesdienst gekommen. Große Anhänger des Popstars sind auch die Heidelberger Edward und Julia Bachem, die mit ihrer 14-jährigen Tochter Cecilia den Gottesdienst mitverfolgen. Sie tragen Taylor-Fanshirts und Vater und Tochter haben sogar Karten für ein Konzert der Sängerin in Gelsenkirchen gekauft. «Ich gehe regelmäßig in die Pop-Gottesdienste», erzählt Julia Bachem. «Als ich erfahren habe, dass es diesmal um Taylor geht, habe ich direkt Tickets gebucht.»
Sängerin Wiechmann sagte im Vorfeld zu dem großen Interesse: «Wir versuchen Dinge in der Kirche zu thematisieren, die Menschen vornehmlich erst mal berühren. Wenn sie dann auch noch voll ist, ist das natürlich für uns eine schöne Sache.» Wenn Menschen mit dem Gefühl aus dem Gottesdienst rausgingen, sie hätten etwas erlebt, was sie getröstet und spirituell angesprochen habe, dann freue sie das besonders. «Und wenn das Leute sind, die das sonst bisher in der Kirche nicht gefunden haben, dann ist das ein sehr positiver Aspekt für mich», sagte die 37-Jährige. Die Sängerin war früher Professorin für Pop-Kirchenmusik an der Hochschule für Kirchenmusik Heidelberg.
Predigt zu Swifts politischem Wirken
In seiner Predigt begibt sich Pfarrer Petracca auf Spurensuche, spricht über Swifts politischen Einfluss, ihren Einsatz für Frauen, Homosexuelle und gegen Rassismus. Mit Witz und Charme, aber doch sehr ernst bespricht er beispielsweise das Lied «Christmas must be something more», das der Weltstar im Jahr 2007 veröffentliche. Darin zitiere die Künstlerin die Weihnachtsgeschichte nach Lukas und kritisiere, so der Pfarrer, dass das Fest in der Konsumgesellschaft seine Bedeutung verloren habe.
Die Stücke Taylor Swifts wurden laut Wiechmann so ausgewählt, dass sie zum Ablauf des Gottesdienstes passten. Für die Fürbitten etwa sei das Lied «Soon you’ll get better» ausgesucht worden, in dem Swift die Krebserkrankung ihrer Mutter verarbeitet. «Das werden wir mit den Fürbitten verbinden und davon ausgehend beten für Menschen, die krank sind, Angehörige von Kranken und Menschen, die sich um Kranke kümmern.»
Das Konzept kommt bei vielen Besuchern gut an. «Ich finde den Ansatz der Gottesdienst-Reihe spannend», meint beispielsweise Maria Oberkofler. Die 25-Jährige studiert in Heidelberg und ist über das Ankündigungsplakat, auf dem Taylor Swift abgedruckt ist, auf die Veranstaltung aufmerksam geworden. «Ich gehe generell öfter in Gottesdienste, aber das ist natürlich etwas Besonderes», resümiert sie.
«Die wirkmächtigste Popmusikerin auf unserem Planeten»
Die Heiliggeistkirche bietet nach Angaben von Pfarrer Petracca seit 2015 immer wieder Konzerte mit Popmusik – Beatles, Leonard Cohen, Queen, Madonna. Auch einen Gottesdienst mit Musik von Michael Jackson gab es schon, bei dem der Pfarrer nach eigener Aussage auch auf die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen Jackson und das Thema Missbrauch in der Kirche einging.
«Das ist bei Taylor Swift viel einfacher», sagt Petracca zum Thema hinter der Musik. In den Gottesdiensten geht es um das Verhältnis von Religion und Politik bei Taylor Swift. «Sie ist im Moment die wirkmächtigste Popmusikerin auf unserem Planeten», erläutert der 59-Jährige. «Sie wird für so einflussreich gehalten, die US-Wahlen im Herbst zu beeinflussen.» (dpa)