Trotz der Inbetriebnahme der Entziehungsanstalt Fauler Pelz in Heidelberg reichen die Therapieplätze im Südwesten noch nicht aus, um vorzeitige Entlassungen alkohol- und drogenkranker Straftäter zu verhindern. Ende Oktober befanden sich nach Auskunft des Sozialministeriums 71 Menschen in sogenannter Organisationshaft in einer Justizvollzugsanstalt. Darunter waren 66 mit einer voraussichtlichen Wartezeit von mehr als drei Monaten auf einen Platz im auf Therapie fokussierten Maßregelvollzug. Bei unverhältnismäßiger Dauer der Organisationshaft können Betroffene auch bei noch nicht verbüßter Haftstrafe auf freien Fuß gesetzt werden. Oft geschieht das nach drei Monaten. «Im Vergleich zum September ist damit eine Besserung der Situation eingetreten», hieß es aus dem Ressort von Manne Lucha (Grüne). Da waren es noch 92 Organisationshäftlinge, darunter 90 mit zu erwartender längerer Organisationshaft. Bislang wurden in diesem Jahr 26 Menschen vor Ablauf ihrer Haftstrafe freigelassen. Gerichte hatten nach Auskunft des Justizministeriums in elf Fällen die weitere Vollstreckung von Organisationshaft für unzulässig erklärt. Ferner ordneten Staatsanwaltschaften im laufenden Jahr 15 Fällen Entlassung an. Im Jahr 2020 waren sechs Häftlinge vorzeitig aus dem Gefängnis gekommen, 2021 schon 32.
Die Interimslösung Fauler Pelz hat 80 Plätze, von denen 43 noch frei sind – also weniger als erforderlich, weshalb diese allein nicht den erforderlichen Platzbedarf decken können. Ende September waren 1512 Häftlinge im Maßregelvollzug untergebracht. Bis 2027 sollen mehrere Hundert Plätze geschaffen werden, darunter an neuen Standorten in Schwäbisch Hall und Winnenden (Rems-Murr-Kreis). Die FDP im Landtag macht den Minister für die verfrühten Entlassungen verantwortlich. «Lucha hat zu lange abgewartet, was dazu geführt hat, dass wir im Gegensatz zu anderen Bundesländern Freilassungen vollziehen mussten», sagte der liberale Gesundheitsexperte Jochen Haußmann. Eine Entspannung sei nicht vor 2025 zu erwarten, denn eine Alternative zum Faulen Pelz gebe es nicht. Das Justizministerium verwies darauf, dass am 1. Oktober dieses Jahres eine Reform des Paragrafen 64 Strafgesetzbuch (StGB) in Kraft getreten ist, durch die der Zugang zum Maßregelvollzug erschwert wird. Gerichte konnten Straftäter bisher in Entziehungsanstalten wie den Faulen Pelz einweisen, wenn ein bloßer «Hang» zum übermäßigen Konsum von Alkohol oder anderen Rauschmitteln festgestellt wurde. Jetzt erfordert der «Hang» eine konkrete «Substanzkonsumstörung», die sich dauerhaft und schwerwiegend auf Lebensgestaltung, Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Probanden ausgewirkt hat und in überwiegendem Maß Ursache für dessen Straftat war. Der Richterbund Baden-Württemberg (DRB BW) geht wie das Ministerium davon aus, dass die Organisationshaftzahlen mit Inkrafttreten der Reform weiter zurückgingen. «Die bisherige Fassung des Paragrafen 64 StGB war tatsächlich zu weit», sagte DRB-Landeschef Wulf Schindler. «Sie führte dazu, dass in vielen Fällen auch in Wirklichkeit therapieunwillige und therapieunfähige Probanden in Unterbringungseinrichtungen statt in den Strafvollzug kamen.» Dadurch seien Therapierbaren Plätze weggenommen worden. Manche Angeklagte versuchten in der Verhandlung laut Schindler, den Eindruck starker Alkoholsucht und Therapiewilligkeit zu erwecken. Kritiker der bisherigen Praxis hatten eine weite Auslegung des Begriffs «Hang» durch den Bundesgerichtshof bemängelt. Dem folgten die untergeordneten Gerichte überwiegend, um nicht Aufhebungen ihrer Urteile und Zurückverweisungen der Verfahren zu riskieren.
Mit der Reform gelten darüber hinaus sowohl für Strafgefangene als auch für Maßregelprobanden verschärfte Kriterien der Überprüfung einer Bewährung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe – und nicht wie bislang für den Maßregelvollzug nach der halben Strafzeit.