Von Julia Giertz (Text) , dpa
Heidelberg (dpa/lsw) – Ein Mitarbeiter einer Reinigungsfirma steht auf einer Leiter, um das vergitterte Fenster einer sanierten Zelle im ehemaligen Gefängnis Fauler Pelz zu putzen. Kurz vor dem Bezug der neuen Entziehungsanstalt für suchtkranke Straftäter wird noch letzte Hand angelegt. Der Raum ist etwa zehn Quadratmeter groß, schätzt Michael Eichhorst und durchmisst die Zelle mit großen Schritten.
Er ist Geschäftsführer des Zentrums für Psychiatrie Calw, dem die Einrichtung in Heidelberg zugeordnet wird. «Ich finde es toll, dass das ein Gebäude ist, das dafür geschaffen ist und uns die Gelegenheit gibt, den Druck auf den überfüllten Maßregelvollzug zu mildern», sagt er und fügt hinzu: «Das ganze Team freut sich auf den Beginn.»
Die Patienten kommen voraussichtlich nächste Woche in Zellen mit Parkettboden, Bett, Schrank, frei stehender Toilette und Waschbecken unter. Als Reminiszenz an die Gefängniszeit haben die blauen Türen Versorgungsklappen. Die spielen jetzt aber keine Rolle mehr, weil die Patienten sich tagsüber frei bewegen und nach dem Einschluss am Abend ein anderes Rufsystem nutzen können. Draußen erinnert Stacheldraht auf den Mauern an die frühere Justizvollzugsanstalt.
Der Einzug ist das Ergebnis eines Kompromisses, den Land und Kommune nach langwierigem Streit gefunden haben. Wegen der Überbelegung der sieben Zentren für Psychiatrie im Land wollte das Sozialministerium das leerstehende Gebäude nutzen, bis 2025 neue Kapazitäten in Schwäbisch Hall und Winnenden fertig gestellt sind. Die Stadt wollte den Komplex für die Universität reservieren. Nach der verbindlichen Zusicherung einer nur temporären Lösung lenkte die Kommune ein. Mit dem neuen Angebot kann dann die Warteliste mit derzeit landesweit 70 von Gerichten zugewiesenen Patienten abgebaut werden.
Bis zu 80 Betroffene sollen im Maßregelvollzug, der eher auf Resozialisierung statt Strafe setzt, von ihrer Sucht befreit werden. Bei einem Drittel sei das Alkohol. Zwei Drittel nehmen nach Angaben des Medizinischen Direktors aus Calw, Matthias Wagner, mehrere Drogen zugleich – Opiate, Kokain, Speed. Der Altersschnitt liegt zwischen 25 und 35 Jahren. Die Delikte reichen nach Wagners Auskunft von Betäubungsmittelhandel bis hin zu Totschlag.
Weder der Zeit- noch der Finanzrahmen seien trotz der langwierigen Streitereien signifikant überschritten worden, erzählt Eichhorst stolz. «Dabei waren alle Vorzeichen so gestellt, dass man länger hätte brauchen müssen.» Dass das Land elf Millionen Euro für die Ertüchtigung seiner Immobilie ausgibt, ist auf den ersten Blick nicht so richtig ersichtlich. Doch die Sanierung ist in Wänden und Kellerräumen versteckt: neue Wasserleitungen, moderne Heizung, verbesserter Brandschutz und Sicherheitstechnik. Davon profitiere auch der Nachnutzer, ist Eichhorst überzeugt.
Die Universität hatte den Komplex schon für sich reklamiert, nachdem Ende 2015 die letzten Frauen den Knast verlassen hatten. Es dürfe langfristig keinen Fremdkörper wie die Entziehungsanstalt in der Altstadt geben, betont Baubürgermeister Jürgen Odszuck. «Das sieht noch nicht nach Universität aus, da muss noch Einiges gemacht werden», sagt er bei einer Besichtigung der Räumlichkeiten. Die Freude der Stadt über den Start des Projekts sei «verhalten», und die kommunale Solidarität werde nach zwei Jahren erschöpft sein.
Sozialminister Manne Lucha (Grüne) musste für seinen Umgang mit dem überfüllten Maßregelvollzug herbe Kritik einstecken. Er habe das Thema verschlafen, hieß es aus der Opposition. Mit über 1400 Patienten seien die Grenzen der Unterbringung erreicht, sagt Leonie Dirks, Amtsleiterin im Ministerium. Weitere Verdichtung – also die Mehrfachbelegung der Zimmer – sei unmöglich. Sechs Jahre zuvor waren nur 1000 Menschen in den sieben Zentren für Psychiatrie.
Das Land erwartet mit der vom Bundesrat jüngst verabschiedeten Änderung des Paragrafen 64 Strafgesetzbuch Entlastung. Die Zugangsvoraussetzungen für den Maßregelvollzug werden jetzt schärfer gefasst als die bisher erforderliche Diagnose eines «Hangs zur Sucht». «Wir hoffen, dass die gesetzliche Verschärfung von den Richtern genutzt wird und die Zahl der Zugewiesenen nicht mehr in dem Maße ansteigt, wie wir das bisher beobachtet haben», sagt Dirks.
Vor allem will das Land verhindern, dass vom Gericht zugewiesene Straftäter mangels Plätzen vorzeitig auf freien Fuß gesetzt werden müssen. Die Zahl der verfrüht Entlassenen lag im Jahr 2020 laut Justizministerium bei 6. 2021 und 2022 waren es jeweils 35 Straftäter – darunter insgesamt 8, die wegen anderer Verfahren in Haft bleiben mussten. Im laufenden Jahr deutet sich mit bislang 19 Menschen, die vor Strafablauf freikamen, ein Höchststand an.
Der Medizinische Direktor aus Calw, Wagner, wünscht sich für die Patienten, «dass sie Besserung erfahren und zumindest eine Einstieg in eine Therapie finden und ihren Weg klarer vor sich sehen». An der Betreuung im Faulen Pelz dürfte das nicht scheitern. Auf jeden Patienten kommt dort ein Mitarbeiter, auf zehn Patienten ein Arzt.
Nach der Ankunft erfolgt für die Patienten Diagnose und Aufklärung über die Therapie, die Einzel- und Gruppengespräche umfasst. Auf der Agenda stehen auch Sport, Ergotherapie und Spielen. Dass ein Insasse über die nahe Hauptstraße spaziert, werde nicht passieren, betont Wagner. «Freigang gibt es nicht.» Ziel sei, dass die Patienten nach einer Therapie keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit darstellen. (dpa/lsw)