Heidelberg. Rawan Osman ist im Libanon mit antisemitischen Vorurteilen und Verschwörungserzählungen aufgewachsen. «Die sind nicht wie wir. Das sind keine normalen Menschen», sei die Botschaft über Juden, über die Menschen im Nachbarland Israel gewesen. So erzählt es die 40-Jährige auf Deutsch mit arabischem Akzent. Geglaubt habe sie das auch, sagt Osman in der Bibliothek der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg. Mit 26 Jahren sei sie in Paris erstmals auf Juden getroffen, ins Grübeln gekommen, habe angefangen, sich ohne Zensur zu informieren.
Heute trägt sie eine Halskette mit einem kleinen Davidstern, die schwarzen Locken halblang, Schlaghose. Mit Kommilitonen und Mitarbeitern des Instituts produziert sie seit Anfang des Jahres auf Arabisch und Englisch 90-sekündige Videos für soziale Netzwerke. Sie wollen über Vorurteile gegenüber Juden aufklären, aber auch etwa über den Nahost-Konflikt informieren.
Entstanden ist die Idee für das Projekt «ArabsAsk» nach dem 7. Oktober 2023, dem Terrorüberfall der Hamas und anderer Extremisten auf Israel mit mehr als 1200 Toten. Bei den darauffolgenden israelischen Angriffen und Kämpfen im Gazastreifen sind nach Darstellung der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mehr als 29 000 Palästinenser getötet worden.
Soziale Netzwerke statt akademische Bücher
Osman, die seit zehn Jahren in Deutschland lebt, sagt, nach dem 7. Oktober sei klar geworden, «wir haben ein akutes Problem». Sie erzählt, wie vor ihren Augen in Berlin Mitglieder des mittlerweile verbotenen propalästinensischen Netzwerks Samidoun das Massaker gefeiert hätten. Sie verweist auf Antisemitismus unter Menschen aus dem arabischen Raum – mit einer ähnlichen Herkunft wie sie.
So stellte auch etwa ein Forschungsüberblick im Auftrag des Mediendienstes Integration vom April 2023 fest: Klassischer Antisemitismus und israelbezogener Antisemitismus sind bei Muslimen weiter verbreitet als bei Nicht-Muslimen. Bei klassischem Antisemitismus werden demnach Juden etwa bestimmte biologische Eigenschaften zugeschrieben, weil sie Juden sind. Insbesondere bei Migranten aus der Türkei und arabischen Ländern gibt es den Angaben zufolge wesentlich höhere Zustimmungswerte zu israelbezogenem Antisemitismus als bei Menschen ohne Migrationshintergrund.
Die Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter äußerte Anfang des Jahres die Befürchtung, dass Antisemitismus in Deutschland weiter wachsen werde. Drei gesellschaftliche Gruppen bereiteten dafür den Boden, sagte die Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam an der Frankfurter Goethe-Universität: muslimische, linke und rechte Kreise.
Osman ist davon überzeugt, was sie auf der Straße gesehen hat, lässt sich nicht mit akademischen Mitteln bekämpfen. Die gebürtige Muslimin will junge arabischsprachige Muslime auf sozialen Netzwerken erreichen.
Ihre Mitstreiterin Naomi hat als junge jüdische Frau selbst Anfeindungen erlebt, wie sie erzählt – immer wieder von Menschen aus dem arabischsprachigen Raum. Auf einer Solidaritätskundgebung für die Opfer des 7. Oktobers sei ihr gesagt worden: «Hitler hat’s gut gemacht.» Die 27-Jährige will ihren Nachnamen aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht sehen.
Hoffen auf Geld von der Landesregierung
Osman nimmt die Videos auf Arabisch und Englisch auf, Naomi moderiert unter anderem Kommentare in sozialen Netzwerken. Insgesamt sind sie neun Mitglieder des Projektes in Heidelberg, dazu kommt noch professionelle Unterstützung bei der Bearbeitung des Videomaterials. 10 000 Euro habe die Gruppe bereits von einer europäischen Rechtsanwaltskanzlei erhalten, sagt David Lüllemann, Schatzmeister des Trägervereins Post7October. Auf 10 000 Euro hoffe die Gruppe zudem von der Landesregierung in Stuttgart – weitere Zuschüsse seien allerdings noch nötig, um zunächst zwei Jahre finanzieren zu können.
In den Kurzvideos auf dem Instagram-Account von ArabsAsk beantwortet Osman etwa selbst die Frage: «Ist Jerusalem wichtig für die Juden?» und verweist unter anderem auf die zahlreichen Erwähnungen Jerusalems im Tanach, der hebräischen Bibel. Das Video kommt auf über 10 000 Views. Deutlich mehr Interesse erfahren allerdings Clips von Interviews mit Angehörigen von Opfern des 7. Oktobers. Die Aussagen der Mutter einer in den Gazastreifen entführten 19-Jährigen kommen teilweise auf 245 000 Views.
Der Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung, Michael Blume, lobt das Projekt: «Der arabische Antisemitismus entfaltet sich längst vor allem digital und erreicht jüngere Menschen über poppige Medien wie TikTok.» Er spricht sich für die Förderung durch das Land aus.
Doch für das Projekt schlägt Osman, die Islamwissenschaften und Jüdische Studien studiert, auch Hass und Hetze entgegen: Sie wird für ihre Arbeit im Netz bedroht, wie sie selbst erzählt. Sie erhalte Hassnachrichten, wie: «You are next.» (Du bist die Nächste) und dazu Bilder aus dem Gazastreifen – oder «We are coming for you.» (Wir kriegen Dich). Die Gruppe sei mit dem Staatsschutz in Kontakt.
Lob für die Idee, Kritik an der Umsetzung
Vertreter der Zielgruppe für einen Kommentar zu bekommen, gestaltet sich schwierig. Dabei klingt auch die Sorge durch, Muslime würden unter Generalverdacht gestellt.
Ahmed Gaafar, Leiter der Meldestelle Respect! gegen Hetze im Netz findet zwar die Idee gut und wichtig – übt aber Kritik an der Umsetzung. So fordert der 28-Jährige, der selbst Ägypter ist, etwa eine stärkere Auseinandersetzung mit dem Nahost-Konflikt und die Einbindung von Betroffenen sowie Experten, insbesondere auch der Zielgruppe selbst. «Diese Kombination aus persönlichen Erfahrungen und Fachwissen würde dem Projekt Authentizität verleihen und eine breitere Verständigung ermöglichen», sagt Gaafar. «Die Erfolgsaussichten des aktuellen Projektformats, die beabsichtigte Zielgruppe zu erreichen, sind meiner Meinung nach begrenzt.»
Osman erzählt allerdings auch von privaten Nachrichten von Menschen aus Syrien und dem Irak, die ihre Videos lobten, dies aber nicht öffentlich sagen würden. Sie berichtet auch von Menschen, die sie dafür beschimpften, dass sie als Araberin diese Ansichten vertritt. «Es ist provozierend», sagt Osman. Und sie hofft darauf, bei den Zuschauern zumindest ein erstes Interesse zu wecken. Letztlich gelte: «Die Leute müssen sich selber damit beschäftigen.» (dpa)