Großniedesheim. Attacken beim Plakatieren und Hetze im Internet: Es sind nervöse politische Zeiten – da könnte der Kontrast mit dem Ort Großniedesheim kaum größer sein. In der pfälzischen Kommune mit etwa 1400 Einwohnern (Eigenwerbung: «Die Wohlfühlgemeinde») gibt es zur Wahl am 9. Juni nur eine Liste – die der örtlichen SPD. Das Besondere: Auf ihr stehen auch Kandidatinnen und Kandidaten, die nicht Mitglied der Partei sind oder einmal anderen Parteien angehörten. Andere Listen brauche es nicht, sagt Bürgermeister Michael Walther. In Großniedesheim arbeite man über Parteigrenzen hinweg.
Die Liste umfasst 28 Kandidatinnen und Kandidaten. Davon sind 21 Mitglieder der SPD – der Rest ist unabhängig oder gehörte einmal der CDU oder den Freien Wählern (FWG) an. «SPD, CDU und FWG bleiben natürlich politische Konkurrenten», sagt Walther. 2019 habe sich die CDU jedoch zurückgezogen – «aus Personalmangel». Drei Jahre später habe sich die FWG aufgelöst. Aber als letzte in dem Ort im Rhein-Pfalz-Kreis verbliebene Kraft wie eine «Monopolpartei» aufzutreten, liege der SPD fern, sagt der SPD-Politiker Walther.
Nicht bloß schmückendes Beiwerk
«Zur Demokratie gehört eine Pluralität der Meinungen und Vorgehensweisen. Da die Konkurrenzparteien das nicht leisten können, haben wir uns noch stärker für Nichtmitglieder geöffnet – auch, um zu zeigen, dass wir nicht auf der Parteischiene fahren», erklärt der Bürgermeister. Dabei seien Nichtmitglieder auf der Liste alles andere als nur schmückendes Beiwerk. «Sie haben reelle Chancen auf einige der 16 Mandate im Gemeinderat.»
Der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun hält die Liste für einen «in dieser Form zwar ungewöhnlichen Vorgang», aber nicht selten stehe in der Kommune eine pragmatische Politik ohne scharfe parteipolitische Konfliktlinien im Vordergrund. «Dabei gilt tendenziell, je kleiner die Gemeinde, desto weniger dominiert die parteipolitische Frontstellung», meint Jun.
«Anfeindungen sind kaum spürbar», sagt Walther. «Natürlich macht man sich nicht nur Freunde. Zu Beginn meiner ersten Amtszeit musste ich unser hochdefizitäres und renovierungsbedürftiges Bürger- und Sportzentrum verkaufen. Das war hochumstritten. Letztendlich wurde die Entscheidung aber akzeptiert», schildert der 63-Jährige.
Und wie sieht die Landes-SPD von Ministerpräsidentin Malu Dreyer den Fall Großniedesheim? «Die SPD Rheinland-Pfalz hat auf ihrem letzten Parteitag beschlossen, Listen auch für Nichtmitglieder zu öffnen», betont ein Sprecher in Mainz. «Dieser Beschluss wird bei uns gelebt und umgesetzt. Wie dieser Beschluss dann konkret umgesetzt wird, ist Sache der jeweiligen lokalen Gliederungen.»
Menschen vor Parteien
Man habe die Landes-SPD im Vorfeld um Informationen gebeten, wie man die Liste rechtssicher aufstelle, sagt Walther. «Dabei ist nicht eine negative Äußerung gefallen.» Jeder, der sich engagiere, wolle das Beste für Großniedesheim. «In so einem kleinen Ort geht es immer um Menschen – selten um Parteien.»
Der rheinland-pfälzische CDU-Vorsitzende Christian Baldauf meint, auch lokal gebe es viele unterschiedliche Interessen, die bestenfalls auch breit in den Räten Vertretung fänden. «Wir bedauern natürlich, wenn es vor Ort nicht gelingt, eine eigene Liste aufzustellen. Dass engagierte Mitglieder dann die Möglichkeit bekommen, auf Listen anderer Parteien anzutreten, kommt hin und wieder vor.» Wenn sich vor Ort engagierte Menschen zusammentun würden, um Projekte gemeinsam anzugehen, wenn parteiübergreifend an gemeinsamen Zielen für die eigene Heimat gearbeitet werde, finde er das in solchen Fällen begrüßenswert, betont Baldauf. «Gerade in der jetzigen Zeit.»
Michael Walther arbeitet seit 40 Jahren in der Kommunalpolitik und ist seit 15 Jahren Bürgermeister. Nun tritt er erneut an. Warum? «Es macht Spaß, etwas zu bewegen», sagt er. Einen Unterschied zur bunten Gemeinderatsliste gibt es allerdings: Am 9. Juni ist Walther der einzige Kandidat für den Posten. (dpa)