Dämpfer für schnellen Häuslebau, Erfolg für Naturschützer: Nachdem das Bundesverwaltungsgericht beschleunigte Genehmigungsverfahren ohne Umweltprüfung für kleine Neubaugebiete untersagt hat, gehen Fachleute von einer weitreichenden Wirkung des Urteils aus. Entsprechend äußerten sich die Umweltorganisation BUND als Klägerin im konkreten Fall, die betroffene Gemeinde Gaiberg im Rhein-Neckar-Kreis, der Deutsche Städte- und Gemeindebund sowie die Bauwirtschaft Baden-Württemberg. Je nach Sichtweise lobten beziehungsweise kritisierten sie die Entscheidung.
«Praktisch wird den Kommunen nun jegliche Flexibilität zu schnellen und sinnvollen Entscheidungen für eine erweiterte Wohnbebauung am Ortsrand genommen», kritisierte Baupräsident Markus Böll am Mittwoch laut Mitteilung. «Dies konterkariert unser aller Bemühen, möglichst rasch den dringend benötigten Wohnraum in den Gemeinden zu schaffen.»
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hatte entschieden, dass ein Passus im Baugesetzbuch nicht mit EU-Recht vereinbar sei. Auf dieser Grundlage dürften keine Freiflächen außerhalb des Siedlungsbereichs einer Gemeinde von weniger als 10 000 Quadratmetern im beschleunigten Verfahren ohne Umweltprüfung überplant werden, hatten die höchsten deutschen Verwaltungsrichter am Dienstag festgestellt. Sie hoben damit ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofes in Mannheim auf.
Der Bebauungsplan «Oberer Kittel/Wüstes Stück» leide an einem beachtlichen Verfahrensfehler. Es hätte eine Umweltprüfung durchgeführt werden und ein Umweltbericht erstellt werden müssen.
Böll von der Bauwirtschaft bezeichnete das Leipziger Urteil als Bärendienst für Wohnungssuchende. «Wir brauchen jetzt dringend neue Möglichkeiten, damit die Kommunen auch in Zukunft schnell und flexibel kleinere Bebauungsgebiete ohne langwierige Genehmigungsverfahren ausweisen können», forderte der Baupräsident. «Nur so können wir den Menschen helfen, möglichst rasch in ihrer Gemeinde bezahlbaren Wohnraum zu bekommen.»
Der den BUND vertretende Rechtsanwalt Dirk Teßmer erklärte: «Das Urteil geht in seiner Bedeutung weit über den konkreten Fall hinaus.» Es gelte deutschlandweit für alle Bebauungspläne, die im Verfahren nach Paragraf 13b des Baugesetzbuchs aufgestellt wurden. Nach Einschätzung der Verwaltung in Gaiberg seien «sicher» Hunderte, wenn nicht sogar Tausende weitere Gemeinden» betroffen, die im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der gesetzlichen Regelung Bebauungsplanverfahren begonnen oder schon beendet hätten.
Vom Bundesbauministerium gab es zunächst keine Stellungnahme, wie nun weiter verfahren werden soll. In der vom Bundesverwaltungsgericht beanstandeten Regelung heißt es, dass die Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans bis Ende 2022 eingeleitet werden mussten. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, die Regelung nicht zu verlängern.
Aus Sicht des Deutschen Städte- und Gemeindebunds müssen Kommunen, in denen die Verfahren noch laufen, diese nun umstellen und insbesondere eine Umweltprüfung vornehmen. Das stelle die Gemeinden vor Herausforderungen und verlängere nicht zuletzt die Verfahrensdauer, sagte Marianna Roscher, Referatsleiterin Städtebau, Wohnen und Klimaschutz. Sind Bebauungsplanverfahren schon abgeschlossen und wurde ein dahingehender Fehler binnen eines Jahres nach Bekanntmachung der Pläne nicht geltend gemacht, dürften die schon bestehenden Pläne der Einschätzung nach grundsätzlich Bestand haben.
Die Regelung des Pargrafen 13b des Baugesetzbuchs habe sich beim Ziel, Wohnraum zu schaffen, als effektives Mittel bewährt, sagte Roscher weiter. Daher sei die Entscheidung zu bedauern. Kommunen seien aktiv bemüht, Wohnraum mit verschiedensten Instrumenten zu schaffen. Aus diesem Grund ist es aus Sicht des Städte- und Gemeindebunds erforderlich, dass die Bundesregierung zeitnah an einer alternativen Vorschrift arbeitet, welche die Schaffung von Wohnraum in einem möglichst unbürokratischen Verfahren ermöglicht.
Die Vorsitzende des BUND Baden-Württemberg, Sylvia Pilarsky-Grosch, freute sich, dass deutsches Baurecht europäisches Umweltrecht nicht aushebeln dürfe. Die gesetzliche Regelung habe dazu geführt, dass in Gaiberg sowie in vielen weiteren Kommunen Baugebiete ohne Umweltprüfung ausgewiesen wurden. «Gerade in Baden-Württemberg wurden dabei naturschutzfachlich wertvolle Gebiete wie etwa die Streuobstwiesen im Fall Gaiberg zerstört», hieß es in der Mitteilung.
Die Gemeinde Gaiberg betonte, die als europarechtswidrig und damit als unanwendbar bezeichnete Norm betreffe das Verfahren, nicht den Inhalt des Bebauungsplans. Dieser könne ohne weiteres mit demselben Inhalt, bloß in einem anderen Verfahren erneut aufgestellt werden.
Das Baugesetzbuch sehe für fehlerhafte Bebauungspläne ein sogenanntes Heilungsverfahren vor. Die Verwaltung werde dem Gemeinderat vorschlagen, so ein Verfahren zur Behebung von Fehlern durchzuführen. «Außerdem wird die Gemeinde mit dem Landratsamt als Baurechtsbehörde Kontakt aufnehmen und alles dazu beitragen, dass es möglichst zu keinen Verzögerungen bei der Errichtung bereits genehmigter Häuser oder sonstigen Beeinträchtigungen der Bauherren kommen wird.» (dpa/lsw)