Kaiserslautern. In einer durchzechten Nacht etwa an Silvester vollziehen sich komplexe Prozesse im menschlichen Körper. Durch Alkohol werden im Gehirn bildlich gesprochen das Gas- und Bremspedal gleichzeitig durchgetreten, filigrane Prozesse geraten aus dem Takt, wie Martin Morgenthaler, Leitender Oberarzt der Klinik für Neurologie am Westpfalz-Klinikum in Kaiserslautern, erklärt. All das vollziehe sich schon kurze Zeit nach dem ersten Schluck Sekt, Wein, Bier oder Schnaps.
Alkohol erreiche schon sechs Minuten nach der Aufnahme das Gehirn. Die Zellen dort seien von einer Hülle umgeben, in der ganz viele Transportfunktionen abliefen, die wiederum den Aktivitätszustand der Zelle bestimmten. In den allermeisten Hirnregionen wirke Alkohol dämpfend, erklärte Morgenthaler. Es komme zu einem Anstieg von Chlorid-Ionen, was sich verlangsamend auf Zellprozesse auswirke – «vor allem auf die Reizübertragung, also die Kommunikation zwischen Zellen».
«Die Reaktion nimmt ab, mir wird schwindelig, das Sehvermögen lässt nach, ich kann Situationen nicht mehr richtig einschätzen», sagte Morgenthaler. Auch auf die Energieversorgung der Zellen wirke sich der Alkohol aus. Die Prozesse der Mitochondrien, quasi die Kraftwerke der Zellen, würden verlangsamt. Dieser Effekt falle noch stärker aus, wenn Alkohol gemeinsam mit Nikotin konsumiert werde.
Extremfall Filmriss
Das Extrem einer solchen Reizdämpfung ist der sprichwörtliche Filmriss. Dann funktioniere die Übertragung vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis nicht mehr. Die Arbeit der Synapsen, der Verbindungen zwischen Nervenzellen, werde im Hippocampus, einem Gehirnteil, der wie eine Art Zwischenspeicher funktioniert, gebremst. «Medizinisch gesehen ist der Filmriss also eine Amnesie für Dinge, die ich gerade erlebe», erklärte Morgenthaler.
Es gebe fragmentarische Filmrisse, wenn «Erinnerungsinseln» blieben. «Da kann ich mich an bestimmte Punkte noch erinnern, dazwischen sind aber Lücken», sagte er. Beim kompletten Filmriss sei dann ein Abend oder eine Nacht in Gänze weg. «Die Wahrscheinlichkeit dafür steigt, je schneller und je mehr Alkohol ich konsumiere.» Und sie werde noch größer, wenn verschiedene alkoholische Getränke durcheinander getrunken würden oder Alkohol mit Drogen kombiniert werde.
Gefahr der Abhängigkeit
In ein paar wenigen Hirnregionen wirke Alkohol wiederum aktivierend. «Deshalb haben wir dann diese euphorisierende Wirkung, sind ein bisschen enthemmter, weil Botenstoffe wie Endorphine, Dopamin und Serotonin ausgeschüttet werden», sagte Morgenthaler. Es könne ein Rauschzustand entstehen, den man immer mal wieder haben wolle, was in eine Abhängigkeit führen könne. «Das haben wir beim Binge-Trinken oder beim Komasaufen.»
Das Wechselspiel aus vor allem dämpfender, vereinzelt aber auch aktivierender Wirkung von Alkohol bringe im Gehirn so einiges durcheinander, sagte Morgenthaler. «Das ist im Prinzip so, wie gleichzeitig Gas und Bremse zu treten. Da kommt die ganze Balance, die da herrschen muss, komplett durcheinander.»
Warum der Schädel brummt
Dass am nächsten Tag häufig der Kopf brummt, hat nach Angaben des Mediziners eine Reihe von Gründen. Zum einen entstehe beim Abbau von Alkohol Acetaldehyd. Das wirke sich auf den Stoffwechsel im Gehirn aus, dort würden Zytokine – körpereigene Botenstoffe – verändert, es bildeten sich freie Sauerstoff-Radikale, was Kopfweh verursache. Außerdem enthalte jedes Alkoholgetränk Methanol. Bei dessen Abbau entstünden Formaldehyd und Essigsäure, die auch Katergefühle verursachten.
«Ein zweiter Punkt ist die Entwässerung», sagte Morgenthaler. Alkohol lasse wie Kaffee häufiger auf die Toilette gehen. «Durch Alkohol wird die Produktion des Hormons Vasopressin gehemmt. Das sorgt eigentlich dafür, dass Wasser im Körper bleibt. Wird die Produktion gehemmt, scheide ich einfach mehr aus.» Damit verliere der Körper Mineralstoffe. Es empfehle sich, auf jedes Glas Alkohol ein Glas mit Wasser folgen zu lassen. «Das schützt auch noch vor Speiseröhrenkrebs, weil ich so den Alkohol ein bisschen aus der Speiseröhre spüle.»
Schlechter schlafen
Typisch ist nach einer durchzechten Nacht auch unruhiger Schlaf. Dabei sei Alkohol zunächst schlaffördernd. «Deshalb trinken viele ja auch abends, dann hört das Grübeln so ein bisschen auf, man kommt gut in den Schlaf», sagte der Neurologe. «Das verkehrt sich aber in der Nacht.» Die beim Alkoholabbau entstehenden Giftstoffe ließen einen immer wieder aufwachen und man müsse mehr auf Toilette. «Viele haben auch Durstempfinden, werden wach und haben so einen ganz fraktionierten Schlaf.»
Alkohol beeinflusse zudem den Tiefschlaf, der dann nicht mehr alle Hirnregionen umfasse. Der Frontallappen im Gehirn bleibe nach Alkoholkonsum auch im Schlaf aktiv, das wirke sich auf die sogenannte REM-Schlafphase aus. REM steht für Rapid Eye Movement, also schnelle Augenbewegungen, die mit dieser Phase einhergehen. In Verbindung mit einem weiter aktiven Frontallappen träume man eher negativ, am Folgetag fühle man sich dann häufig gerädert und abgeschlagen.