Berlin/Mannheim. Applaus von der Union, Ärger bei den Grünen: Einen Tag nach ihrem Austritt bei den Grünen ist die Bundestagsabgeordnete Melis Sekmen mit langem Beifall von der Unionsfraktion begrüßt worden. «Herzliches Willkommen. Gut, dass Sie sich so entschieden haben», sagte Unionsfraktionschef Friedrich Merz nach Angaben von Teilnehmern in der Sitzung der CDU/CSU-Abgeordneten zu der 30-jährigen Mannheimerin. «Die Fraktion freut sich darauf, Sie kennenzulernen.»
Weil das Verfahren zur Aufnahme in die CDU noch Zeit beansprucht, nahm Sekmen als Gast an den Beratungen teil. Sie wurde mit den Worten zitiert: «Für mich beginnt heute ein neuer Abschnitt.»
Merz: Sekmen nur ihrem Gewissen verpflichtet
Sekmen war über die Landesliste in den Bundestag gewählt worden. Forderungen der baden-württembergischen Grünen zu einem Mandatsverzicht wies Merz zurück. «Sie ist frei gewählte Abgeordnete und ist wirklich nur ihrem Gewissen verpflichtet», sagte er. Dem folge Sekmen, indem sie jetzt dorthin gehe, wo sie ihre Vorstellungen von Politik verwirklichen könne. Die Ex-Grünen-Abgeordnete habe sehr klar eine tiefe Enttäuschung über ihre frühere Partei und Fraktion zum Ausdruck gebracht.
Die Spitze der Unionsfraktion werde versuchen, Sekmen in einem Ausschuss unterzubringen, in dem sie ihre Erfahrungen und Fähigkeiten einbringen könne, sagte Merz. Sie habe sich ja bislang schon stark im Bereich der Start-up-Unternehmen engagiert. Sekmen sitzt seit 2021 im Bundestag und war zuletzt Obfrau im Wirtschaftsausschuss des Parlaments. Seit 2022 ist sie Vorsitzende des Parlamentskreises «Gründung & Start-ups».
Respekt vor Einwanderungsgeschichte
Merz sagte vor der Fraktionssitzung, Sekmens Wechsel sei in den vergangenen Wochen intensiv besprochen worden. Es habe auch ein persönliches und sehr angenehmes Gespräch gegeben. «Ich habe großen Respekt vor diesem Schritt», fügte er hinzu. Die Fraktion werde die neue Kollegin mit Respekt auch vor ihrer persönlichen Geschichte einer aus der Türkei eingewanderten Familie aufnehmen. «Sie wird für unsere Bundestagsfraktion eine Bereicherung sein», sagte Merz.
Ex-Grüne Sekmen gegen Schubladendenken in der Politik
Sekmen sagte nach Teilnehmerangaben in der Fraktion, wichtig sei ihr immer der Politikstil gewesen. «Wir müssen unsere Meinung sagen, ohne gleich in Schubladen gesteckt zu werden.» Ihr Großvater sei als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. Die Menschen mit Migrationshintergrund hätten sie geprägt und ihr geholfen, «über den Tellerrand hinauszuschauen». Sie hätten durch viel Arbeit und Leistung den gesellschaftlichen Aufstieg geschafft. Sie ergänzte: «Ich freue mich, viele von Euch und Ihnen bald besser kennenzulernen. Es geht nach vorne. Vielen Dank.»
Zuletzt wechselte 1996 eine Grünen-Abgeordnete zur Union
Dass Abgeordnete die Fraktion wechseln, kommt selten vor. Die Unionsfraktion konnte zuletzt Ende 1996 einen Zugang aus einer anderen Fraktion verbuchen. Damals wechselte die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld ebenfalls von den Grünen zur Union. Ende vergangenen Jahres trat Lengsfeld, die von 1990 bis 2005 im Bundestag saß, aus der CDU aus. Nach dem Ausscheiden der CSU-Abgeordneten Andreas Scheuer und Stefan Müller im April und Mai hatte die CDU/CSU-Fraktion zuletzt 195 Abgeordnete.
Sekmen beantragt in Heimatstadt Mannheim Aufnahme in CDU
Der CDU-Kreisverband in Sekmens Heimatstadt Mannheim bestätigte den Eingang des Aufnahmeantrags der Abgeordneten. Über diesen werde am Dienstagabend kommender Woche bei einer Vorstandssitzung entschieden, sagte der Kreisvorsitzende Christian Hötting. Dabei handele es sich nur um eine Formalie.
Grüner Kreisverband fordert Mandatsverzicht
Der Grünen-Kreisverband Mannheim wies auf Sekmens Einzug in den Bundestag über die Grünen-Landesliste hin. «Wir fordern deshalb, dass Melis Sekmen ihr Bundestagsmandat abgibt, so dass eine andere Person der gewählten Grünen Liste statt ihr im Bundestag vertreten sein kann», hieß es in einer Stellungnahme. Die Grünen-Co-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Britta Haßelmann, sagte in Berlin: «Reisende kann man nicht aufhalten.»
Kretschmann verwundert über Wechselgründe von Sekmen
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte in Stuttgart mit Blick auf Äußerungen Sekmens zu einem Schubladendenken: «Ich war über die Begründung doch etwas verwundert.» Dies sei kein Grund, sich von den Grünen zu verabschieden, sagte Kretschmann. Er selbst äußere sich auch ähnlich. «Wenn man dieser Meinung ist, dann guckt man, dass man andere davon überzeugt», sagte der Ministerpräsident.
CSU: Aus Fehlern lernen ist ja was Positives
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte über Sekmen: «Aus seinen Fehlern lernen ist ja erst mal was Positives.» Es sei eine kluge Erkenntnis der bisherigen Grünen-Abgeordneten, dass man die internationale wirtschaftliche Situation «mit den Grünen nicht bewältigen kann». (dpa)