Fr, 09.02.2024 , 08:56 Uhr

Baden-Württemberg: Verwahrlost, zerbissen, abgemagert - „Animal Hoarding“ nimmt zu

Hunde, Katzen und andere Tiere vegetieren zusammengepfercht in kleinsten Wohnungen qualvoll dahin: Die Zahl der Fälle von krankhaftem Tiersammeln steigt. Aber Mittel und Therapien gibt es kaum.

Von Martin Oversohl, dpa

Stuttgart. Der Gestank muss wieder und wieder bestialisch sein. Wenn Tierärzte die Türen öffnen, wenn ihnen das Ammoniak in der Nase beißt und es ihnen entgegenwimmert, wenn es aus der einen Ecke der oft stickigen und engen Wohnung raschelt und aus der anderen bellt. Immer wieder kommt es vor, dass massenweise Katzen oder Hunde, Vögel, Kaninchen und sogar Pferde aus dem Besitz völlig überforderter Halter, aus voll gestellten Wohnungen oder von verschlammten Koppeln gerettet werden müssen.

Die Fälle pathologischen Hortens von Tieren (englisch: animal hoarding) – meist aus falsch verstandener Tierliebe, aus Überforderung oder auch aus Profitgier – nehmen Jahr für Jahr zu. Nach Angaben des Deutschen Tierschutzverbandes zeichnet sich ab, dass im vergangenen Jahr so viele Wohnungen und Häuser ausgeräumt wurden wie nie zuvor.

Dabei war nach Verbandszahlen bereits im Jahr zuvor mit 73 Fällen ein Höchststand erreicht worden. Offizielle Statistiken gibt es nicht. Aber die Dunkelziffer ist auch gewaltig, weil sich die Halterinnen und Halter zurückziehen. Die Mittel gegen die krankhaften Animal Hoarder? Überaus dürftig. Die Hilfsangebote für die oft krankhaft süchtigen Tiersammler? Ebenfalls.

Fälle sorgen immer wieder für Schlagzeilen: So werden in Wissen im Westerwald über mehrere Tage bis zu 1500 Farbratten aus einem Haus geholt.  Das Tierheim in Gießen musste im vergangenen Jahr laut Tierschutzbund gleich zehnmal größer aushelfen, darunter bei mehr als einem Dutzend französischer Bulldoggen und Mischlingen, die zum Teil in Holzkisten ohne Decke in einem Pferdestall gehalten wurden. In Südhessen wurden mehr als 80 Katzen und zwei Kaninchen beschlagnahmt. Und allein im Januar griffen Tierschützer des ältesten deutschen Tierheims in Stuttgart schon bei vier größeren Notrufen zu.

Für Aufsehen sorgte zuletzt Mitte Januar der Stuttgarter Fund von 68 Chihuahua-Rassehunden einer überforderten Züchterin, die meisten eingepfercht auf engem Raum, zum Teil in gestapelten Transportboxen. «Es roch beißend nach Urin, die Krallen waren viel zu lang, die Tiere waren teils apathisch», sagt Petra Veiel vom Stuttgarter Tierheim. Wenige Wochen zuvor wurden in Freiburg mehr als 70 Katzen aus einer voll gestellten Wohnung gerettet. Die Tiere waren nicht kastriert, sie reagierten panisch. Viele der überaus scheuen Katzen tragen das Herpes-Virus. Sie werden sich nach Einschätzung des Tierheims nur schwer vermitteln lassen.

Das ist bei den Stuttgarter Chihuahuas nicht der Fall. «Auf einen der Hunde kommen derzeit 15 bis 20 Interessenten», sagt Veiel. Noch ist dem einen oder anderen kleinen Vierbeiner anzusehen, was er durchgemacht haben könnte. Einer von ihnen hockt verstohlen in der Ecke, der andere schmiegt sich immer wieder an eine zerfetzte Spielpuppe, ein Dritter hat überzüchtete Glupschaugen, die fast aus dem viel zu kleinen Schädel zu springen scheinen.

«Solche Situationen sind natürlich für die Tiere Stress pur», sagte Thomas Stegmanns, der Leiter des Stuttgarter Veterinäramts. Tierhalter seien zunehmend überfordert nach dem Spontankauf eines Hundes oder einer Katze. «Viele haben einfach keine Ahnung, was sie machen müssen.» Die Situation trifft auf personell angeschlagene Behörden. «Wir machen hier nur noch Feuerwehr», sagt Stegmanns.

Werden aus einer Katze im Wohnzimmer irgendwann 60, dann geht es meistens nicht nur um Tierschutz, sagt Nina Brakebusch, Fachexpertin für Animal Hoarding beim Deutschen Tierschutzbund. «In der heutigen Zeit vereinsamen die Menschen, es geht ihnen die Bindung zu anderen Menschen verloren.» Oft lasse ein persönlicher Schicksalsschlag wie eine Scheidung oder der Verlust des Jobs die Situation kippen. Neben dem Zuchtgedanken halten sich manche Hoarder auch für Tierretter und locken – gerade im Falle von Katzen – Streuner mit Futter an.

Was aber fehlt, ist die Einsicht: «Animal Hoarder verdrängen, dass es den Tieren schlecht geht», sagt die baden-württembergische Landestierschutzbeauftragte Julia Stubenbord. Sie bagatellisieren und spielen mit den Behörden ein Katz-und-Maus-Spiel, um den Gerichtsbeschluss und den Zugang zur Wohnung zu verhindern.

Selten lassen sich Animal Hoarder therapieren, in fast allen Fällen werden sie nach Angaben des Tierschutzbundes zu Wiederholungstätern. «Wenn ein Landkreis ein Tierhaltungsverbot verhängt, kann der Tierhorter umziehen und von vorn anfangen», kritisiert Veiel vom Stuttgarter Tierheim. Eine oft geforderte Datenbank für Haltungsverbote oder ein Zentralregister gibt es noch nicht, außerdem ist Animal Hoarding nach wie vor kein anerkanntes Krankheitsbild. Die Kassen finanzieren also keine Therapie für die psychisch kranken Sammler.

Umso wichtiger ist aus Sicht der Landestierschutzbeauftragten Stubenbord das aufmerksame Auge für solche Fälle: «Man kommt selten in die Wohnung eines Tierhorters, da wird es dann schwierig. Aber das eine oder andere lässt sich auch von außen erkennen», sagt sie. «Nehmen Sie Fäkalgeruch wahr oder anhaltendes, vielleicht vielstimmiges lautes Bellen, sehen Sie abgemagerte Tiere, dann können Sie das dem Veterinäramt melden.»  (dpa)

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