Mit keinem Wort erwähnt Thomas Strobl in seiner Rede die Vorwürfe und Ermittlungen rund um die sogenannte Polizei-Affäre. Am Ende wird der CDU-Landeschef vor den Delegierten des Parteitags aber kurz persönlich. Er dankt der Partei für die Unterstützung, auch in schwierigen Zeiten. Er habe sich auch sehr über Zuspruch aus der Kirche gefreut in den letzten Wochen. «Das hat mich berührt und das hat mir Kraft gegeben», sagte Strobl. «So wie es mir auch Kraft gegeben hat, dass der eine oder andere mir immer wieder auf die Schulter gehauen hat – und gesagt hat, gemeinsam werden wir das schon schaffen.»
Die Zeiten waren wohl schon einmal einfacher für Thomas Strobl. Gegen seinen höchstrangigen Polizisten, den Inspekteur der baden-württembergischen Polizei, wird wegen sexueller Belästigung ermittelt. Weil Innenminister Strobl ein Anwaltsschreiben in dem Fall an einen Journalisten weitergegeben hat, wird ihm Geheimnisverrat vorgeworfen. Die Opposition fordert Strobls Rücktritt und zerrt ihn vor einen Untersuchungsausschuss. Noch viel wichtiger: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Strobl selbst. Der Ausgang des Verfahrens könnte das Ende seiner politischen Karriere markieren. Muss aber auch nicht – das hängt wohl auch davon ab, ob das Verfahren eingestellt wird oder etwa Strafbefehl ergeht.
Auf dem Landesparteitag in Villingen-Schwenningen ist das Verfahren gegen den CDU-Landeschef jedenfalls kein großes Thema. Zu oft in seiner politischen Laufbahn schon stand Strobl im Kreuzfeuer der Kritik und hat sich danach wieder berappelt. Er gilt als Stehaufmännchen. Seine permanenten Widersacher ziehen zwar über den Landeschef her, aber das taten sie auch schon vor der Brief-Affäre. Viele Delegierte in der Messehalle sehen die Vorwürfe als haltlos an, stellen in Poly-Krisen-Zeiten die Gegenfrage: «Haben wir nicht schlimmere Probleme?». Manche sagen, dass die Causa Strobl doch nur in der politischen Blase in Stuttgart interessiere. In den Kreisverbänden in der Provinz werde das aber nicht an den Stammtischen diskutiert. Manche sagen, man müsse nun einfach abwarten, wie sich die Staatsanwaltschaft verhalte.
Andere sehen Strobls Karriere sowieso als endlich an. Für die Spitzenkandidatur zur Landtagswahl 2026 wird er jedenfalls nicht mehr gehandelt. Nach den Wahlschlappen für die einst so stolze Südwest-CDU bei Bundes- und Landtagswahl erhielt Strobl beim Parteitag vergangenes Jahr in Mannheim als Landesvorsitzender gerade noch 66,5 Prozent der Stimmen. Ein besonders warmes Verhältnis zum Landeschef ist auch in Villingen-Schwenningen nicht zu spüren – aber von Revolte kann auch keine Rede sein. Der Landesverband gibt insgesamt ein geschlosseneres Bild ab als beim Parteitag vergangenes Jahr.
Die Delegierten beschließen einen Leitantrag, um die Partei attraktiver zu machen, neue Mitglieder zu werben. Auch die von der Bundespartei beschlossene Frauenquote wird in die Satzung aufgenommen. Nächstes Jahr wird dann der Landesvorstand neu gewählt. Wenn es darum geht, wer die CDU in die nächste Landtagswahl und endlich wieder an die Macht führen soll, fällt derzeit immer derselbe Name: Manuel Hagel, CDU-Fraktionschef. Der 34-Jährige soll Medienberichten zufolge die Teilnahme an einer Delegationsreise mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) vergangene Woche in die USA extra abgesagt haben, nur um bereit zu stehen, falls sich die Ereignisse in Stuttgart in der Brief-Affäre überschlagen und die Machtstrukturen in Koalition und Partei schnell neu justiert werden müssen.
Gefühlt wird aber die ganze Causa Strobl nicht mehr so heiß gekocht innerhalb der CDU wie noch vor kurzem. Und in Villingen-Schwenningen widmen sich die rund 300 Delegierten dann eher den großen Themen der Zeit, der Energiekrise, dem russischen Angriffskrieg, dem Zoff um die Abschaltung der Atomkraftwerke. Feindbild ist Kanzler Olaf Scholz und seine Ampel, die zögert, die zaudert, die nur streitet, da ist man sich bei den Christkonservativen im Südwesten einig. Strobl schimpft auf die «Chaostruppe in Berlin», erntet den größten Applaus, als er den Weiterbetrieb aller drei verbliebenen Atomkraftwerke fordert.
Um 10.48 Uhr schreitet dann der Politpromi aus Berlin zu schweren Bassklängen durch die Halle, alle stehen auf und klatschen für Friedrich Merz. Der hat traditionell viele Anhänger im konservativen Landesverband – und Merz liefert seinen Fans, was sie wollen. Er gibt sich als feuriger Oppositionsführer. Manuel Hagel wird den Merz-Auftritt später als «Balsam für die Seele der Partei» bezeichnen. Alte Größe, das ist die tiefe Sehnsucht der Südwest-CDU, die in Baden-Württemberg jahrzehntelang die Geschicke des Landes lenkte – und auf dieser Klaviatur spielt Merz wie ein Virtuose.
Seine Botschaft: Deutschland ging es immer prima, wenn die Union am Drücker war. Merz, der Wirtschaftsexperte, rückt die produzierende Industrie in den Mittelpunkt, von der schließlich der Wohlstand abhänge, besonders im Südwesten. Es gehe um Dekarbonisierung und Digitalisierung. «Allein mit Vermeidungsstrategien werden wir das CO2-Problem nicht in Griff kriegen.» Arbeit müsse sich wieder lohnen und die Atomkraftwerke müssten weiter laufen.
In seiner Rede pocht er auch auf eine weitere inhaltliche und personelle Erneuerung in der Union. Am Ende schlägt Merz den ganz großen Bogen und erinnert an die historischen Verdienste von CDU und CSU, von der sozialen Marktwirtschaft bis zur Wiedervereinigung. Kein Land in der Welt habe so viel erreicht nach zwei zerstörerischen Weltkriegen wie Deutschland, sagt Merz – und schreibt das den Entscheidungen der – na klar – Union zu. «Selbstbewusstsein ist angesagt», ruft er. Nach 33 Minuten setzt sich Merz aufs Podium und wischt sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn. Die Menge tobt, frenetischer Applaus. Im Gegensatz zu Strobl holt er die Delegierten von den Sitzen, drei Minuten Standing Ovations. Wie die personelle Erneuerung in der Südwest-CDU weitergeht, ist erstmal offen.