Weil Zehntausende von Lehrkräften fehlen und Baden-Württemberg in den Bildungsstudien ordentlich Federn gelassen hat, fordert der Lehrerverband VBE Kompromisse in der Ausbildung der Pädagogen. Vor allem Quereinsteigern müsse der Weg ins Lehrerzimmer ermöglicht werden, wenn dies auf qualitativ hochwertige Weise gelänge. «Es ist wichtig, sich von der Idee zu verabschieden, dass wir den Unterricht nur noch mit vollausgebildeten Lehrkräften absichern können, leider», sagte der Landes- und Bundesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Gerhard Brand. Studierende müssten zudem stärker unterstützt werden, um einen Abbruch des Lehramtsstudiums zu verhindern.
«Wir können über die Variante Quereinsteiger oder Seiteneinsteiger relativ schnell Leute an die Schule bringen und den Lehrkräftebedarf ein wenig kompensieren», sagte der Verbandschef. Das werde zwar der Profession nicht gerecht. «Aber über den Schatten müssen wir angesichts der prekären Lage springen. Es wird nicht anders gehen, wenn wir den Karren nicht in die Grütze fahren wollen.»
Zahlreiche Bundesländer bemühen sich zwar seit einigen Jahren, auch nicht traditionell ausgebildete Lehrkräfte für das Lehramt zu gewinnen. Ein Seiteneinstieg in den Beruf ist auch in Baden-Württemberg bereits möglich, es gibt aber wie in anderen Ländern auch hohe Hürden und zahlreiche Einschränkungen. Unter anderem werden sie nur in einzelnen Fächern und nicht in allen Schularten akzeptiert. «Angesichts der Lage müssen wir Schulen öffnen für Seiteneinsteiger, um die vorhandenen Lehrkräfte zu entlasten», forderte Brand. Bislang werde dies nur an Berufsschulen sowie an Gymnasien lediglich in den Fächern Physik und Informatik und unter bestimmten Voraussetzungen angeboten.
«Das ist zu wenig konzeptioniert», sagte Brand. «Wir werden es in den nächsten zehn Jahren nicht schaffen, die Schulen mit ausreichend originär ausgebildeten Lehrkräften zu versorgen. Und wir werden diesen Mangel noch über Jahre hinweg tragen müssen, wenn wir nicht versuchen, andere Wege zu gehen.» Er wirbt für ein sächsisches Projekt, bei dem sich Quer- oder Seiteneinsteiger zunächst mehrere Monate an Hochschulen vorbereiteten, bevor sie zeitgleich zu drei Werktagen an Schulen auch begleitend an zwei weiteren Tagen an Universitäten ausgebildet würden. «Das ist ein Projekt, das sich sehr gut angehört, das schnell helfen kann und Qualität in die Schulen bringt.»
Quereinsteiger sind aus Sicht des VBE aber nur eine Stellschraube, an denen das Land drehen muss. «Wir haben Abbrecherquoten von 35 bis 50 Prozent im Studium, das können wir uns nicht leisten», sagte Brand. «Wir müssen versuchen, die Leute zu unterstützen, wenn sie sich für ein Lehramtsstudium entscheiden.» Möglich seien zum Beispiel mehr Tutoren, zinsfreie Kredite oder weitere Studentenwohnheime. «Wenn wir nur die Hälfte der Aussteiger halten können, haben wir relativ schnell deutlich mehr Personal zur Verfügung», rechnete Brand vor. Gemeinsam mit den gut ausgebildeten Seiteneinsteigern sei das zwar nicht perfekt. «Aber es wird viel besser sein als das, was wir jetzt haben.»
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte die Verbände zuletzt aufgerufen, nicht fortwährend neue Stellen zu fordern, sondern über Inhalte zu diskutieren. «Wir können uns die Lehrer nicht backen. Wir müssen daher wieder inhaltliche statt quantitative Debatten führen», hatte der Regierungschef gesagt.
Brand weist das zurück. «Die Zahl der Lehrkräfte ist der Dreh- und Angelpunkt», sagte er. «Über Inhalte lässt sich nur diskutieren, wenn wir eine ausreichende Zahl an Lehrern haben, die diese Inhalte vermitteln können.»
Die Landesregierung habe es versäumt, rechtzeitig umzusteuern, obwohl seit vielen Jahren klar sei, dass an Schulen unter diesen Voraussetzungen vieles nicht mehr zu stemmen sei. «Wenn ich mein Auto in die Werkstatt stelle und es gibt nur zwei Mechaniker, dann krieg ich den Wagen schnell hingepfuscht oder ich kriege ihn nicht rechtzeitig zurück», sagte der VBE-Landesvorsitzende. Die Herausforderungen, sei es im Bereich der Gewalt an Schulen, bei der Inklusion, der Ganztagsbetreuung, bei der Überlastung von Lehrkräften und bei Flüchtlingen, könne man mit einer ausreichenden Zahl an Lehrern besser in den Griff bekommen.