Droht Baden-Württemberg angesichts der Energiekrise und hoher Inflation eine weitere Protestwelle wutentbrannter Menschen im Herbst? Die Krisenstimmung könnte sich nach Einschätzung des Landesverfassungsschutzes in teils gewaltsamen Demonstrationen entladen. Höhere Energiepreise, aber auch die Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und eine weitere Corona-Welle könnten zu einer steigenden Zahl von politischen Versammlungen führen, sagte ein Sprecher des baden-württembergischen Landesamtes der dpa. „Dass es im Zuge des möglichen Protestgeschehens auch zu einer gewalttätigen Eskalation mit extremistischer Beteiligung kommt, kann nicht ausgeschlossen werden“, fügte er hinzu. Auch Politiker und Journalisten könnten dabei in den Fokus geraten.
Dem Verfassungsschutz lägen bereits Erkenntnisse vor, wonach vor allem Rechtsextremisten und Reichsbürger das mögliche Protestgeschehen instrumentalisieren oder sogar anfachen wollen. Nach neuen Themen suche derzeit auch die Szene der sogenannten Delegitimierer des Staates – so beschreibt der Verfassungsschutz ein Spektrum, das bei den Corona-Protesten sichtbar geworden ist und sich laut Behörde nicht eindeutig links oder rechts verorten lässt. Unklar sei, ob „Querdenker“ wie bei den Corona-Protesten erneut eine dominierende Rolle im Südwesten einnehmen würden.
Der Konstanzer Protestforscher Sebastian Koos sieht aber einen Unterschied zur aufgewühlten Corona-Stimmung. Die Debatte um das Impfen habe viele persönlich berührt. „Das heißt aber nicht, dass sie sich auch wegen einer wirtschaftlichen Benachteiligung mobilisieren lassen würden“, sagte Koos der dpa. Außerdem sei es nach den bisherigen Erfahrungen schwer, Menschen in prekären Lebenssituationen zu mobilisieren. „Die meisten müssen einfach gucken, wie sie über die Runden kommen.“ Ein Risiko sieht Koos dennoch: „Gelingt es der Politik nicht, die wirtschaftliche Entwicklung in den Griff zu bekommen und den Menschen die Angst zu nehmen, kann ich mir vorstellen, dass die erwartbaren großen Mobilisierungsversuche auch erfolgreich sein könnten“, sagte er.
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl schließt eine brisante Lage dennoch nicht aus: „Es fehlt mir nicht die Fantasie für solche Entwicklungen“, sagte er. „Wir müssen Lehren aus der deutschen Geschichte ziehen und frühzeitig gegensteuern, dass nicht Links- und Rechtsextremisten unsere Straßen beherrschen.“ Auch der zunehmende Antisemitismus im Land könne durch die Krisenstimmung weitere Anhänger erhalten, warnte er. Solche Krisen seien immer das große Feld für Verschwörungsideologen, sagte der Innenminister. Sie arbeiteten oft mit antisemitischen Narrativen. „Das ist der Klassiker. Es wird ein Schuldiger gesucht“, sagte Strobl. „Und damals wie heute suchen sich diese Menschen in unerträglicher Weise unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger als Sündenböcke heraus.“ (dpa/wg)