Stuttgart. Finanzminister Danyal Bayaz hat sich angesichts der hohen Flüchtlingszahlen für eine Kontingentlösung mit der Türkei und für eine Erneuerung des EU-Türkei-Deals ausgesprochen. Europa müsse die Gespräche mit der Türkei zum schwierigen Thema Migration nach der Wiederwahl des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan intensivieren, sagte der deutsch-türkische Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart.
«Denn faktisch ist das EU-Türkei-Abkommen von 2016 tot – auf der europäischen Seite gibt es Pushbacks, auf der türkischen Seite wurde seit drei Jahren keine Person aus Griechenland mehr zurückgenommen.» Eine Kontingentlösung, wie sie auch Migrationsforscher vorschlagen, wäre für die Türkei, aber auch für andere Drittstaaten eine mögliche Variante, um das Asylsystem zu entlasten – ohne das individuelle Grundrecht auf Asyl in Frage zu stellen, sagte Bayaz.
Es sei an der Zeit, dass Europa mit Erdogan wieder die Gesprächsfäden intensiviere, sagte Bayaz. «Regierungen müssen mit den gewählten Staatsoberhäuptern im Gespräch sein, uns bleibt doch gar nichts anderes übrig.» Wichtig sei es, sich nicht erpressen zu lassen und weiter auf das Einhalten von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei zu pochen. «Türkische Oppositionelle und Journalisten müssen aus den Gefängnissen entlassen werden.»
Der Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei sieht unter anderem vor, dass die Türkei gegen unerlaubte Migration in die EU vorgeht und Griechenland illegal auf die Ägäis-Inseln gelangte Migranten zurück in die Türkei schicken kann. Im Gegenzug übernimmt die EU für jeden zurückgeschickten Syrer einen syrischen Flüchtling aus der Türkei und unterstützt das Land finanziell bei der Versorgung der Flüchtlinge. Die Türkei wirft der EU jedoch vor, ihren Teil der Abmachung nicht einzuhalten und verweigert derzeit die Rücknahme.
Nicht nur die Türkei als Transitland habe eine Aufgabe, sondern auch Europa, sagte Bayaz: «Das kann aber nicht so laufen, dass die EU sagt: Ihr seid jetzt Gatekeeper, haltet uns dauerhaft die Flüchtlinge vom Hals. Damit würde Europa es sich zu einfach machen und das Problem allein bei der Türkei abladen. Die Festung Europa wollen wir nicht.»
Die Türkei habe knapp vier Millionen geflüchtete Menschen aufgenommen, die meisten aus Syrien, sagte der türkischstämmige Finanzminister. «Bei aller Kritik an Präsident Erdogan – da habe ich großen Respekt, was die Türkei da bewerkstelligt.» Zur stark steigenden Zahl der Asylsuchenden mit türkischem Pass sagte Bayaz: «Die Türkei ist ein Transitland. Gleichzeitig kann auch die politische Situation, die Polarisierung und der Umgang mit Minderheiten und Oppositionellen dazu beigetragen haben, dass Menschen das Land verlassen.» Das mache ihm Sorgen. «Vor allem, weil gerade junge Menschen der Türkei den Rücken kehren, da sind schon Anzeichen für einen regelrechten Braindrain.» (dpa)