Mo, 13.05.2024 , 08:09 Uhr

Baden-Württemberg: Acht Gründe, warum Europa für den Südwesten wichtig ist

Nur Bürokratie und Vorschriften aus Brüssel? Nicht unbedingt. Die EU mag in die Jahre gekommen sein, aber das Ländle ist abhängig von Europa.

Von Nico Pointner, dpa

Stuttgart. Brüssel und Stuttgart sind Luftlinie zwar nur 416 Kilometer voneinander entfernt, aber manchmal scheint die EU Lichtjahre entfernt von der Lebenswirklichkeit der Bürgerinnen und Bürger. Deshalb ist die Beteiligung an Europawahlen auch vergleichsweise gering. Aber nicht nur geografisch gesehen liegt Baden-Württemberg ziemlich in der Mitte Europas. Auch sonst stellt sich Brüssel als ziemlich zentral heraus für das Ländle. Gründe:

HANDEL: Baden-Württemberg ist traditionelles Exportland. Die EU mit ihren offenen Grenzen, der gemeinsamen Währung und dem einheitlichen Rechtsrahmen ist nach Angaben des Verbands Unternehmer Baden-Württemberg (UBW) der größte Markt für die Wirtschaft in Baden-Württemberg. Im vergangenen Jahr gingen laut Wirtschaftsministerium 47 Prozent der Ausfuhren baden-württembergischer Güter in die EU – mit einem Gesamtvolumen von 117 Milliarden Euro. Gehandelt werden vor allem Maschinen, Kraftwagen und Kraftwagenteile sowie pharmazeutische Erzeugnisse. Der Anteil der Importe aus EU-Ländern lag mit 127 Milliarden Euro sogar bei knapp 56 Prozent. Die wichtigsten drei EU-Handelspartner für den Südwesten sind Frankreich, die Niederlande und Italien.

WOHLSTANDSMOTOR EU: Die wirtschaftlichen Verflechtungen zahlen sich aus: Baden-Württemberg profitiere überdurchschnittlich vom EU-Binnenmarkt, wenn man die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung betrachte, heißt es aus dem Staatsministerium. Pro Kopf erhöht die Teilnahme am Binnenmarkt das Einkommen im Südwesten laut einer Studie der Bertelsmanns-Stiftung von 2019  pro Jahr um rund 1200 Euro. Der EU-Durchschnitt liegt bei nur 840 Euro. Allein 2019 erzielte der Südwesten demnach einen Wohlfahrtsgewinn von rund 13,3 Milliarden Euro.

FACHKRÄFTE: Die Wirtschaft braucht dringend Arbeitnehmer. In Baden-Württemberg leben laut UBW mehr als 900 000 Menschen aus anderen EU-Staaten, die aufgrund der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU auch problemlos im Südwesten arbeiten könnten. Die EU erleichtert die Anerkennung von Abschlüssen und verringert den Aufwand für Unternehmen, Menschen aus anderen EU-Staaten einzustellen, berichtet das Wirtschaftsministerium.

EU-ZUSCHÜSSE: Auch ein reicher Landstrich wie Baden-Württemberg erhält Zuschüsse aus der EU – und zwar in Milliardenhöhe. Von 2014 bis 2022 flossen laut Staatsministerium 7,5 Milliarden Euro Fördermittel ins Land. Ein großer Anteil entfällt dabei auf Mittel für die Landwirtschaft. Zum Vergleich: Baden-Württembergs Landeshaushalt umfasst ein jährliches Volumen von gut 60 Milliarden Euro. Unter anderem mit Blick auf den Wandel der Automobilindustrie pocht die Landesregierung darauf, dass Baden-Württemberg mehr EU-Beihilfen bekommt. Diese gehen bislang vor allem an entwicklungsschwache EU-Regionen. Man mache sich dafür stark, «dass industriestarke Transformationsregionen wie Baden-Württemberg als wirtschaftliche Herzkammern bei Förderungen stärker berücksichtigt werden», sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) der dpa.

POLITISCHE NETZWERKE: Immer mehr wichtige politische Entscheidungen werden auf europäischer Ebene getroffen, weshalb eine gute Vernetzung in Brüssel entscheidend ist. Die Landesvertretung in Brüssel spielt dabei eine zentrale Rolle, für die Koordination in Stuttgart zeichnet das Staatsministerium verantwortlich. Baden-Württemberg hat in der EU wirtschaftlich und mit elf Millionen Einwohnern mehr Gewicht als manche EU-Mitgliedsstaaten. Im Netzwerk «Vier Motoren für Europa» hat sich der Südwesten mit den Regionen Lombardei (Italien), Katalonien (Spanien) und Auvergne-Rhône-Alpes (Frankreich) zusammengeschlossen, um gemeinsam politische Interessen in der EU durchzusetzen. Zudem gibt es seit 2011 die Donauraumstrategie der EU, mit der die Regionen an der Donau bis zum Schwarzen Meer vorangebracht werden sollen.

FORSCHUNGSFÖRDERUNG: Deutschland profitiert nach Angaben des Landeswissenschaftsministeriums von allen EU-Mitgliedstaaten am meisten vom Forschungsförderprogramm «Horizon Europe». Einrichtungen aus dem Südwesten sind an 1030 Projekten beteiligt. Die Uni Heidelberg plus Klinikum ist mit 142 Projektbeteiligungen und Zuwendungen in Höhe von rund 107 Millionen Euro die erfolgreichste Einrichtung im Südwesten.

STUDENTENAUSTAUSCH: Dazu kommt noch der Austausch an den Universitäten: Zwischen Sommer 2020 und 2022 sind 6717 Studierende aus Baden-Württemberg über das Erasmus-Programm ins Ausland gegangen, 3479 sind ins Land gekommen.

NACHBARSCHAFTSPFLEGE: Baden-Württemberg setzt sich in Brüssel für gute Beziehungen der EU zur Schweiz ein. Diese drohten nach dem Scheitern eines institutionellen Rahmenabkommens im Mai 2021 zu erodieren. «Ein neues Abkommen eröffnet die Chance, die Zusammenarbeit in den zentralen Zukunftsfeldern vorantreiben, etwa in den Bereichen Energie und Gesundheit», sagte Europa-Staatssekretär Florian Hassler. «Unsere langjährige grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit der Schweiz als einen unserer wichtigsten Handelspartner hat dabei Modellcharakter in Europa, sei es am Oberrhein, am Hochrhein oder am Bodensee.» Die Schweiz will sich einen möglichst hindernisfreien Zugang zum EU-Binnenmarkt erhalten, aber nicht EU-Mitglied werden.

 

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