Von Ulrike John, dpa
Als Anhänger der TSG 1899 Hoffenheim nach dem Vereinsbeben in der Sommerpause erstmals ihren Unmut kund taten, folgte der Spott aus anderen Fußballlagern prompt: „Hoffenheim hat eine Fanszene?“ Der Protest gegen Mäzen Dietmar Hopp und den Club kommt vor dessen 17. Bundesliga-Saison plötzlich aus den eigenen Reihen. Im ersten Heimspiel gegen Holstein Kiel am Samstag (15.30 Uhr/Sky) ist die Situation nach Clubangaben „eskaliert“. Die Verantwortlichen fürchten sogar, dass ein Kern von 20 bis 40 Ultras mit Hassplakaten ein Spielabbruch provozieren könnte. Nach der Trennung von der operativen Geschäftsführung um den langjährigen Manager Alexander Rosen haben zwei Fan-Gruppierungen ihrer TSG „den Krieg erklärt“, so gibt der Verein deren Wortwahl wider. Beim ersten Heimspiel rechnet der Verein mit weiteren Protestaktionen aufgebrachter Anhänger. Man wolle keine Meinung unterdrücken, erklärte der Club, aber: „Wir wollen nicht, dass Dietmar Hopp aus seinem eigenen Stadion gemobbt wird“. Das Ziel sei weiter, die Fans zu Gesprächen an einen Tisch zu bekommen, nachdem diese die Kommunikation zur TSG komplett eingestellt haben. Als erste Maßnahme lässt Hoffenheim das Fanlager im Stadion von Sinsheim räumen, weil gerade dort diffamierende Banner erstellt werden könnten.
Kritik wegen Einfluss von Spielerberater Wittmann
Anhänger hatten in den vergangenen Monaten schon mehrfach auf Transparenten angeprangert, dass die Spielerberater-Agentur Rogon zu viel Einfluss im Verein habe. Namentlich geht es gegen deren Mitbegründer Roger Wittmann, dem ein enges Verhältnis zu Hopp nachgesagt wird. Doch das ist inzwischen ein Randaspekt. Im Juli hatte die TSG unter Simone Engelhardt, die als Interimspräsidentin des eingetragenen Vereins den Mehrheitsgesellschafter vertritt, zu einem Rundumschlag ausgeholt. Die Hoffenheimer trennten sich nicht nur von Rosen – von den einst vier Geschäftsführern blieb nur der neu gekommene Jurist Markus Schütz auf seinem Posten. Aus dem operativen Geschäft bei den Kraichgauern verabschiedete sich auch Pirmin Schwegler als Leiter Profifußball. Danach wurden rund um die Arena in Sinsheim und das Trainingszentrum in Zuzenhausen von Anhängern Transparente mit harscher Kritik an den Verantwortlichen befestigt. „125 Jahre TSG – Aufgebaut und zerstört – danke für Nichts!“, hieß es auf einem Plakat. Auf einem weiteren wurde Mäzen Hopp sogar persönlich attackiert: „Wir Fans sind der Verein. Hopp verpiss Dich!“
Dietmar Hopp schweigt
Der 84 Jahre alte Milliardär und SAP-Mitbegründer hat sich selbst bisher nicht zu den ganzen Vorkommnissen geäußert. Sein Einfluss auch als Gesellschafter in der Spielbetriebs-GmbH gilt weiterhin als groß. Hopp hatte sein Stimmrecht an den Stammverein zurückgegeben. Der Verein ist seit 2023 offiziell zurück im Kreis der 50+1-Clubs, dessen Führung daher mit mehr Macht ausgestattet ist. Die Regel gibt im Kern vor, dass Investoren keine Stimmenmehrheit an den Kapitalgesellschaften von Vereinen übernehmen können. Hoffenheim hatte wegen Hopp jahrelang eine Ausnahmegenehmigung. Sinsheimer OB will TSG Präsident werden Vereinspräsidenten waren in der Vergangenheit Personen aus dem Hopp-Umfeld. Als neuer ehrenamtlichen TSG-Chef bei der Wahl am 2. September stellt sich nun Sinsheims Oberbürgermeister Jörg Albrecht. Der 55-Jährige hört Ende August als OB auf und wird vom 1. September an Vorsitzender des Vereins Anpfiff ins Leben, ein Herzensprojekt Hopps. An Fußballprofis perlen solche Turbulenzen in der Führungsetage normalerweise ab. Der Abgang von Rosen und Schwegler inmitten der Transferperiode hat aber auch sportliche Auswirkungen auf den Europa-League-Teilnehmer: Trainer Pellegrino Matarazzo sieht „ein paar offene Baustellen“ im Kader und sagte unverhohlen: „Das ist sicherlich keine optimale Vorbereitung, wenn man in eine Dreifachbelastung starten möchte.“ Er muss darauf vertrauen, dass Übergangsmanager Frank Kramer nach Rosens Abgang inmitten der Transferperiode die Mannschaft verstärkt. Und dass wieder Ruhe im Verein einkehrt. (dpa/mj)